Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt
es ging.
Er besorgte sich eine eigene Wohnung. Das war alles andere als einfach, denn eigentlich hatten sie neben der Arbeit keine Zeit. Er machte es so, dass er morgens die Lokalzeitung aus dem Frühstücksraum in sein Zimmer entführte und abends die Telefonnummern der Immobilienmakler herausschrieb, die darin inserierten. Tagsüber nutzte er gelegentliche Pausen, um mithilfe seines deutschen Mobiltelefons, dessen Benutzung in den USA sündhaft teuer war, Termine für den darauf folgenden Samstag auszumachen.
Die erste Wohnung, die er angeboten bekam, glich eher einer Baustelle als etwas, worin man wohnen konnte. Die zweite war eine Art ausgebauter Kleiderschrank. Doch schon das dritte Objekt entpuppte sich als hübsches kleines Holzhäuschen mit zwei Zimmern, Küche, Bad und Veranda, komplett möbliert bis hin zum Fernseher, zum Kühlschrank mit Eiswürfelmaschine und zur Klimaanlage. Sehr gemütlich, sehr amerikanisch. Sogar die typische Klapptür mit Fliegengitter darin war vorhanden. Wie im Film.
»Wie viel?«, fragte Markus.
»Hundert Dollar die Woche«, sagte die Maklerin. »Strom und Wasser extra.«
»Okay.« Verglichen mit dem Quadratmeterpreis des ausgebauten Kleiderschrankes war das geschenkt. »Wo muss ich unterschreiben?«
Natürlich blieb sein Umzug den anderen nicht verborgen, und natürlich stellten sie Fragen.
»Bist du verrückt?«, wollte Leon de Rijk, der Holländer, wissen. »Hier bekommst du jeden Tag das Bett gemacht und das Zimmer gesaugt, und die Firma zahlt alles – und du suchst dir eine eigene Wohnung?«
»Ich brauche das«, behauptete Markus. »Weißt du, das ist seit jeher so bei mir – nach einer Woche im Hotel reicht es mir einfach.«
Marina, die kleine Polin mit den hellbraunen Locken, fragte: »Bist du denn unserer Gesellschaft schon überdrüssig?«
»Nein, Unsinn«, versicherte Markus im überzeugendsten Tonfall, den er zu Stande brachte. »Natürlich komme ich abends trotzdem hierher, wie gehabt. Ist doch klar; was soll ich alleine in dem Haus hocken? Ich will nur in einem Bett schlafen, das ich mir selber machen muss, das ist alles.«
»Es wird den Teamgeist schwächen«, meinte Jean-Marc. Sie saßen wieder einmal zum Thema Schweizer Bankenrecht zusammen. »Ich würde wirklich gern wissen, warum du das tust.«
Markus beugte sich vor. »Ganz im Vertrauen? Eigentlich ist es ein völlig kindischer Grund. Ich will einfach wie ein Amerikaner leben. In amerikanischen Supermärkten einkaufen, amerikanische Lebensmittel in einer amerikanischen Küche zubereiten und so weiter. Sonst wäre das alles kein Abenteuer für mich. Und ich habe bloß ein halbes Jahr Zeit; das ist nicht viel. Das brauchst du übrigens nicht weiterzuerzählen«, fügte er hinzu und war sich sicher, dass Jean-Marc diese Bitte ignorieren würde.
Der Franzose hob tadelnd eine Augenbraue. »Ich persönlich finde dieses Land eine Zumutung. Ich kann es kaum erwarten, dass die sechs Monate vorbei sind. Aber« – er zuckte mit den Schultern – » chacun à son goût .«
Das nächste Ziel war, sich niemanden unnötig zum Feind zu machen. Das wäre eine schlechte Strategie gewesen. Aber die Zukunft sah nun einmal so aus, dass die anderen aus dem Team, so sympathisch sie sein mochten, nach dem halben Jahr hier in ihre nationalen Vertriebsorganisationen zurückkehrten. Danach würden sie einander im Wesentlichen nur noch E-Mails schreiben, und in denen würde es vorwiegend um die Software gehen. Und alle paar Jahre würde man sich auf irgendeinem Kongress, einem Seminar – oder auf einem Flughafen – über den Weg laufen und sagen: »Weißt du noch?«
Markus hatte nicht vor, Teil dieser Zukunft zu sein.
An den ersten beiden Abenden nach seinem Auszug tauchte er im Hotel bei den anderen auf, als wäre nichts gewesen. Allerdings achtete er sorgfältig darauf, zum richtigen Zeitpunkt aufzutauchen: dann, wenn alle am Tisch saßen. Niemand sollte übersehen können, dass er zwar von außerhalb dazustieß, aber dass er Wert darauf legte, Teil des Teams zu sein. Er machte die Tour um den langen Tisch herum, tätschelte Schultern, riss Witze und versprühte Lebensfreude und Begeisterung, obwohl ihm nach all den Stunden mit dem deutschen Steuerrecht eher danach zu Mute war, unter den Tisch zu sinken und sich in den Schlaf zu weinen. Dann quetschte er sich irgendwo dazwischen und ließ sich ein Gedeck bringen, um den Rest des Abends dabei zu sein wie bisher auch.
Bloß, dass er ein bisschen früher ging. Und die
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