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Ausgebremst

Ausgebremst

Titel: Ausgebremst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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erste Formel-1-Wagen meines Lebens auftauchen würde.
    Ich schloß mit mir selbst Wetten ab, welches Auto als erstes die Gerade heraufkommen würde. Wer würde sich als erster ins Training werfen? Emerson Fittipaldi im rotweißen Marlboro-McLaren? Clay Regazzoni im roten Ferrari? In jedem Fall würde ich den Fahrer augenblicklich an seinem Helm erkennen, James Hunts schwarzen Helm, Mario Andrettis rotsilbernen Helm, Clay Regazzonis Schweizerkreuz.
    Wen würde ich als ersten Formel-1-Fahrer meines Lebens sehen? Das fragte ich mich noch, als in der einen Kilometer entfernten Glatz-Kurve zwei winzige, geräuschlose Insekten auftauchten. Obwohl ich instinktiv zurückwich, wie ein Autofahrer, auf dessen Windschutzscheibe eine fette Fliege zerplatzt, schlug mir der Lärm der beiden Überschall-Insekten im nächsten Augenblick mitten ins Gesicht.
    Die beiden weißen Überschall-Brabhams jagten in die Bosch-Kurve, und ich erkannte den schwarz-gelben Helm des Brasilianers Carlos Pace, der im weißen Martini-Brabham in die Bosch-Kurve raste, gefolgt von seinem Teamkollegen Carlos Reutemann. Während ich noch reflexartig meine Hände an die Ohren schlug, donnerte das Brabham-Gespann in die Bosch-Kurve, zerschellte wenige Meter vor mir in den Leitschienen, nein, verzögerte wie durch einen göttlichen Eingriff in letzter Sekunde von dreihundert auf hundert Stundenkilometer, wand sich schmerzlich verlangsamt durch die Kurve und schmetterte schon wieder mit Vollgas, dritter, vierter, fünfter Gang Richtung Texaco-Schikane hinunter.
    Das Regenrennen gewann dann am Sonntag Vittorio Brambilla auf einem March, fünf Stunden nachdem der Amerikaner Mark Donohue beim Aufwärmtraining tödlich verunglückt war. Ebenfalls in einem March. Es war der einzige Sieg in Brambillas Karriere, und als die Abbruchflagge herauskam, donnerte er seinen March direkt auf der Ziellinie vor Freude in die Boxenmauer.
    Erst vier Jahre nach Paces Tod errang Bernie Ecclestones Brabham-Team seinen ersten Weltmeistertitel. Fahrer war wieder ein Brasilianer. Nelson Piquet war Ecclestones neuer Star, nachdem Reutemann das Team verlassen hatte und Pace tödlich verunglückt war und Niki Lauda seine Rennkarriere mit einem erfolglosen Brabham-Gastspiel beendet hatte.
    Trotzdem sagt Bernie Ecclestone noch heute: «Carlos Pace war der beste Pilot, der je für mich fuhr. Wäre er nicht mit dem Flugzeug abgestürzt, hätte ich später keinen Lauda und keinen Piquet gebraucht.»
     
    Liebe Theresa!
    Dein Brief hat mich so berührt. Ich weiß, wie dich der Rennsport anödet. Ich erinnere mich noch gut, wie du immer mit schneidender Stimme das Geräusch der Motoren nachgemacht hast. Und trotzdem beschäftigst du dich mit den Manipulationsgerüchten, die jetzt sogar schon die Autozeitschriften offen aussprechen. All das wird aber zu keiner Revision meiner Verurteilung führen. Es geht bei diesen Gerüchten ja immer nur um lächerliche Kleinigkeiten. Natürlich gibt es hin und wieder kleine dramaturgische Eingriffe. Umstrittene Disqualifikationen, die einem allzu überlegenen Fahrer ein paar Punkte wegnehmen. Damit sich die Entscheidung der Weltmeisterschaft bis zum letzten Rennen verzögert. Und natürlich ist es richtig, daß der Mord, für den ich hier im Gefängnis sitze, ohne Michael Schumachers Karriere niemals passiert wäre. Hätte man 1991 nicht den blutjungen Michael in das Jordan-Cockpit gepreßt, während Bertrand Gachot in einem Londoner Gefängnis saß, weil er angeblich einen Taxifahrer mit Nervengas attackiert hatte, dann wäre dieser Mord nie geschehen. Das stimmt schon. Aber das heißt noch lange nicht, daß Schumacher schuld daran ist. Es war nur ein Zufall. Weißt du eigentlich, daß es in Hollywood eine eiserne Regel gibt? Ein Element, das nur einmal vorkommt, ist ein Zufall. Erst das zweite Element wirft eine Frage auf. Und das dritte Element bringt die Antwort. Wir haben aber nur ein Element. Denn all die anderen Morde wären ja trotzdem geschehen. Auch wenn der belgische Le-Mans-Sieger Bertrand Gachot 1991 in London nicht ins Gefängnis gekommen wäre. Auch wenn Schumacher nicht sein Jordan-Cockpit übernommen hätte. Die Flugzeugabstürze sind ja schon lange vor Schumachers und Gachots Zeit geschehen. Doch ich fürchte, sie liegen zu lange zurück, um heute noch aufgeklärt zu werden und meine Unschuld zu beweisen. Das einzige, was mir bleibt: mein Wissen so detailliert wie möglich niederzuschreiben. Wenn mir auch niemand glaubt, so hilft es

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