Ausgebremst
kleinlaut.
Liberante strahlte über das ganze Gesicht: Es war offensichtlich, daß er uns mit seiner Geschichte einigermaßen verblüfft hatte. Fünf Formel-1-Piloten bei vier Flugzeugabstürzen Mitte der siebziger Jahre gestorben! Steve lächelte anerkennend, und ich übertrieb meine Bewunderung vielleicht sogar etwas, denn ich wollte mir nicht anmerken lassen, daß ich über die Todesursachen aller Fahrer genauestens Bescheid gewußt hatte. Bruno schaute ganz besonders mürrisch, was wohl seine Form der Anerkennung war. Nur der Finne ließ sich nichts anmerken, aber er ließ sich nie und bei keiner Gelegenheit etwas anmerken.
Und der TEXUNO-Chef hatte uns schon vor dem vierten Absturz verlassen, nachdem er zwei Stunden lang umsonst versucht hatte, zu Wort zu kommen.
Es war zwei Uhr früh, als wir uns in unsere Wohnmobile verzogen. Wir alle hatten über dem lustigen Hickhack zwischen Liberante und seinem Cousin die Zeit übersehen.
«Das ist wirklich ein komischer Zufall», sagte Steve beim Weggehen.
«Ein verdächtiger Zufall!» korrigierte ihn Liberante. «Für einen komischen Zufall genügen ja schon drei geplatzte Reifen oder drei abgestürzte Flugzeuge. Nach dem neuen Zufallsgesetz meines strengen Cousins.»
Aber es war Liberantes zerknittertem Brambilla-Gesicht anzusehen, daß er es einfach für einen urkomischen Zufall hielt. Und besonders komisch fand er es wohl, wie er seinen Cousin hereingelegt und ihm im vorhinein die Zufallsdefinition für den vierten Absturz abgeluchst hatte.
Dieses vergnügte Gesicht Liberantes ist es, das ich immer vor Augen habe, wenn ich an ihn denke.
Und nicht das Gesicht des toten Liberante, den wir am nächsten Tag in seinem Wohnmobil fanden.
Da Liberante bis Mittag seinen Stand noch nicht aufgebaut hatte, klopfte Bruno lautstark ans Fenster, bekam aber keine Antwort. Als Bruno schließlich die Tür von außen öffnete, rieselte ihm etwas weißes Pulver auf seine eleganten italienischen Wildlederschuhe.
Das Wageninnere war vollkommen von diesem weißen Pulver bedeckt. Wie eine weiße Staublawine überzog es alles, was sich in dem Wohnmobil befand. Auch den Besitzer des Wohnmobils, der wie im Schlaf auf seinem Bett lag, aber schon seit Stunden nicht mehr atmete.
2
Man erkennt die Fahrer an den Helmen.
Damon Hill hat den gleichen Helm wie einst sein Vater.
Jean Alesi hat den gleichen Helm wie einst Elio de Angelis.
Keke Rosberg
Der finnische Fanartikelhändler hieß Johan Käkinen. Eigentlich leicht zu merken: Käkinen, wie der finnische Rallye-Weltmeister Timo Mäkinen. Und am Anfang ein K wie bei Keke Rosberg. Aber selbst als dann Mika Häkkinen in der Formel 1 auftauchte, konnten wir uns den Namen unseres Finnen nicht merken.
Der Finne erschien nicht nur zur gleichen Zeit wie Keke Rosberg in der Formel 1, er gab sich auch immer Mühe, wie Rosberg auszusehen. Und was noch schlimmer war, er benahm sich wie Rosberg, und das heißt wie ein finnischer Diskothekenkönig, der zu viele John-Wayne-Filme gesehen hat. Eben einer dieser Männer, die sofort Platz machen, wenn man ihnen auf dem Gehsteig entgegenkommt, solange man nicht links oder rechts vorbei will, sondern mit der Passage zwischen ihren kilometerweit voneinander entfernten Westernstiefeln vorlieb nimmt.
Auch nach dem Rücktritt Keke Rosbergs wollte der Finne auf die verspiegelte Rosberg-Sonnenbrille und das typische Keke-Rosberg-Hemd, von dem er einen gewaltigen Restposten bei sich selbst aufgekauft haben muß, nicht verzichten. Die Rosberg-Art, die er mühsam eintrainiert hatte, konnte er ohnehin nicht mehr ablegen.
Manchmal habe ich diese ruppige Art gehaßt. Zum Beispiel an dem Tag, als Liberante Graziano tot aufgefunden wurde. Noch bevor die Polizei eingetroffen war und festgestellt hatte, daß es sich um einen Unfall handelte, machte der Finne sich an der Leiche zu schaffen.
«Was ist denn das hier für ein Schweinestall!» rief er aus, während wir anderen vom Tod Liberantes so geschockt waren, daß wir kein Wort herausbrachten.
Er tat, als würde ihm vor allem die Verunreinigung des Wohnwagens durch die Löschpulverlawine Sorgen bereiten, und übertrieb sein Gehabe nur noch mehr, als keiner von uns darauf reagierte. Er begann im Wohnwagen herumzusuchen, brachte eine Kehrschaufel zum Vorschein und fing tatsächlich an, das weiße Pulver aus Liberantes explodiertem Bordfeuerlöscher in einen Müllsack zu räumen.
Wir waren alle zu geschockt, um gleich zu reagieren. Erst nachdem er einen Teil des
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