Ausgebremst
was mich um diese Zeit sehr wunderte. So machte ich mich auf den Weg zu Steve, der seinen Wagen in einer anderen Kurve aufgestellt hatte.
Je näher ich der Kurve kam, um so deutlicher wurde es, daß im Vormittagstraining für den Grand Prix von Frankreich ein schwerer Unfall passiert war. Es lag genau dieser furchtbare Geruch nach verbranntem Öl und Plastik und Menschenfleisch in der Luft, wie ich ihn zuletzt 1978 beim tödlichen Unfall Ronnie Petersons in Monza gerochen hatte.
Aber im Training war kein Unfall passiert.
Noch vor Trainingsbeginn hatte eine Explosion den millionenteuren Clou-Liner Steves zerrissen und den Engländer in hohem Bogen über die Streckenabsperrung geschleudert, immer seiner Himmelfahrtsnase nach.
Er starb ausgerechnet beim Grand Prix von Frankreich, wo James Hunt 1976 mit einem großartigen Sieg den Grundstein für seinen Weltmeistertitel gelegt hatte. Freilich nicht in Magny Cours, sondern in Le Castellet.
3
Jackie Stewart hatte
einen Vollvisierhelm.
Dann auch Jack Brabham. Dann Jo Siffert und Pedro Rodriguez. Manchmal auch Jochen Rindt.
Elf Jahre
Als am Montag nach dem Grand Prix von Frankreich die Horden von Fans und der Formel-1-Troß mit seinen unzähligen Sattelschleppern und die Fernsehteams aus aller Welt und das immer kleiner werdende Häuflein der Fanartikelhändler abgereist waren, versuchte ein Kontingent der französischen Armee, die verwüstete Landschaft rund um Magny Cours halbwegs wiederherzustellen. Ich hatte dem Finnen schon vor Stunden zum Abschied zugewunken, aber irgendwie kamen wir nicht dazu, aufzubrechen.
«Seit elf Jahren ist kein Formel-1-Fahrer mehr verunglückt», sagte der Finne. «Die leben schon sicherer als wir.»
«Elf Jahre?» Ich konnte die Rechnung des Finnen nicht ganz verstehen. «Stefan Bellof und Manfred Winkelhock sind doch erst 1985 verunglückt. Das sind noch keine acht Jahre.»
Der Finne hatte sich schon zum Losfahren ans Steuer seines Wohnmobils gesetzt. Aber er fuhr nicht, und ich entfernte mich nicht von seiner offenen Tür, und so unterhielten wir uns, während die französische Armee das Burgunderland zurückeroberte.
«Ach, rechnen kannst du auch schon», nuschelte der Finne. Er hatte beide Hände am Lenkrad und studierte die Insektenleichen auf seiner Windschutzscheibe.
Nach einer Weile sagte er: «Winkelhock und Bellof sind nicht in der Formel 1 verunglückt. Sie sind beide in Sportwagenrennen ums Leben gekommen.»
«Innerhalb von vier Wochen beide deutschen Hoffnungen tot», zeigte ich dem Finnen, daß er mir das nicht erklären mußte.
«Winkelhock war keine Hoffnung», nuschelte der Finne. «Aber Bellof war eine echte Hoffnung.»
«Jetzt haben die Deutschen ja Schumacher.»
«Zu spät.»
«Was heißt zu spät. Schumachers Zeit kommt erst. Er ist ja erst fünfundzwanzig.»
«Senna hat für nächstes Jahr bei Williams unterschrieben. Einen Dreijahresvertrag: 94, 95, 96! Solange Senna fährt, wird Schumacher nicht Weltmeister.»
Heute dreht es mir den Magen um, wenn ich bedenke, welche Bedeutung diese Worte des Finnen aus dem Sommer 1993 ein Dreivierteljahr später bekommen sollten. Damals aber redeten wir nicht länger darüber. Es war nur eine Nebenbemerkung.
Ich beobachtete eine Zeitlang die französischen Soldaten, die mit ihren Bajonetten die weggeworfenen Programmhefte und Pappbecher und sonstigen Abfälle von den Feldern pickten, und dachte nach.
«Du hast recht», sagte ich. «In der Formel 1 ist schon elf Jahre lang kein Fahrer mehr verunglückt. Seit Gilles Villeneuve und Riccardo Paletti im Unglücksjahr 1982. Und Pironi hat sich als WM-Führender damals die Beine zerfetzt!»
«Sonst wäre Rosberg 1982, nie Weltmeister geworden.»
Es fühlte sich an, als hätte einer der französischen Soldaten mich mit einem Papierfetzen verwechselt und mir sein Bajonett in den Rücken gerammt.
Aber der Finne hatte es wirklich gesagt. Er hatte wirklich gesagt: Sonst wäre Rosberg 1982. niemals Weltmeister geworden!
Jeder wußte es, aber keiner hatte es elf Jahre lang so leidenschaftlich bestritten wie der Finne. Und jetzt sagte er sogar noch: «Weltmeister mit einem einzigen Grand-Prix-Sieg. Das ist doch lächerlich.»
Nichts hätte deutlicher zeigen können, wie sehr den Finnen der Tod Steves mitnahm.
Ich sagte: «Liberante und Steve müssen etwas gewußt haben, was irgendwem ein Dorn im Auge war.»
Der Finne nickte.
«Und da wir es auch wissen», sagte ich, «sollten wir vielleicht in Zukunft etwas besser
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