Ausgebremst
zurückgezogen. Sie hatte ihr Ritual ganz ungeniert auf dem Campingtisch zelebriert. Wir saßen in der Morgendämmerung Ende Juni mitten in Burgund, Bruno Graziano machte noch eine Weinflasche auf, und der Finne wußte keine bessere Antwort auf meine Frage als «Dungl!»
Steve knallte vor Vergnügen einen ganzen Sechserpack Bierdosen auf den Campingtisch, so sehr amüsierte ihn die Vorstellung, daß Willi Dungl, der Masseur Niki Laudas, dessen Existenz als Rennfahrer weitergeführt und später eine Fluglinie gegründet hatte, während Niki Lauda mit einer Eingeborenen in der Südsee lebte.
Ich entblödete mich in meinem Zustand nicht, auf die lächerlichen Behauptungen noch einzugehen, und fragte allen Ernstes: «Und wieso sieht Dungl auf einmal wie Niki Lauda aus?»
«Noch so ein häßlicher Deutscher!» gackerte die Französin.
«Lauda ist Österreicher», sagte ich.
«Dungl ist auch Österreicher», sagte Steve. «Und er sieht aus wie Lauda, weil er sich das Gesicht operieren ließ. Darum hat er ja all die Wunden im Gesicht.»
«Genau», brummte der Finne. «Darum die Wunden. Darum die Inszenierung des Feuerunfalls. Es sollte hinterher eine Rechtfertigung für die Wunden geben. Denn man kann Dungl zwar mit den heutigen medizinischen Möglichkeiten ganz gut auf Niki Lauda umoperieren, aber natürlich nicht ohne beträchtliche Wunden.»
«Der Unfall war nur ein Vorwand für die Wunden», erklärte mir Steve noch ein zweites Mal. «Einerseits ist so eine schwere Operation nicht ohne Wunden möglich, andererseits ist es für Dungl durch die Wunden beträchtlich einfacher, wie Lauda auszusehen.»
«Dort, wo er Niki Lauda nicht ähnelt, schiebt man es auf die Wunden», bekräftigte der Finne, als müßte man mir alles dreimal erklären.
«Der Ferrari wurde ja 1977 Weltmeister durch Langsamfahren!» triumphierte Steve. «Dungl fuhr ja nur noch hinterher und sammelte die Punkte ein, wenn die anderen ausfielen! Das war so ein homöopathisches Rennfahren, wie es nur einem Fitneßguru einfallen kann.»
Dagegen konnte ich beim besten Willen nichts sagen.
«Dungl!» kicherte die Französin.
Liebe Theresa!
Du hast wohl recht, daß ich viel im Leben durch meinen Rennfanatismus verdorben habe. Solange nur du mir das vorgeworfen hast, konnte ich es nicht annehmen. Aber sogar mein finnischer Kollege hat es mir einmal im Zorn gesagt. Er hatte zwei TEXUNO-Leute zu einem geselligen Zusammensein eingeladen. Nur der Chef war nicht gekommen. Er wollte offenbar vor seinen Angestellten nicht so blöd dastehen, wie wir ihn immer hinstellten. Steve provozierte uns bei dem Essen mit einer Geschichte über Niki Laudas Unfall auf dem Nürburgring. Er wollte dabei unauffällig auf die am Nürburgring verwendeten Feuerlöscher zu sprechen kommen. Nur Steve, der Finne und ich wußten zu diesem Zeitpunkt, daß Liberante mit mehreren Feuerlöschern erstickt worden war. Aber ich legte mich mit Steve wegen der Niki-Lauda-Verunglimpfung an. Er war ja der ehemalige James-Hunt-Händler, und ich hatte das Gefühl, daß er eine alte Rechnung begleichen wollte. Ich muß allerdings zu meiner Verteidigung sagen, daß Steve Niki Lauda über Gebühr beleidigte. Er begann die Geschichte um so mehr zu genießen, je mehr ich meinen Ärger zeigte. So kam er immer weiter davon ab, seine Feuerlöscher-Fangfragen zu stellen. Ich hatte ihn mit meinem Fanatismus abgelenkt. Und es ist nur ein geringer Trost, daß ich es jetzt hier selbst ausbaden muß.
dreizehn
Als ich in meinem Bus aufwachte, zeigte mein Wecker genau dreizehn Uhr. Eine schlechte Zahl. Sogar in dem sonst so rationalen High-Tech-Milieu der Formel 1 vermeidet man sie. Nie hat ein Auto die Nummer 13. Ich schüttelte den Kopf über die sinnlose Debatte, die wir geführt hatten. Noch dazu hatte ich das Freitagvormittagsgeschäft versäumt. Und Freitag war der Tag, an dem die Fans noch Geld hatten.
Im Schlaf hatte ich mich anscheinend weiter damit beschäftigt, was Steve und der Finne bloß mit der Lauda-Geschichte bezweckt hatten. Denn beim Aufwachen war mir sofort klar, was die Geschichte mit Liberantes Tod zu tun hatte.
Liberantes letzte Geschichte hatte ja genau von dieser Zeit gehandelt. Die Flugzeugabstürze hatten sich rund um den Lauda-Unfall gehäuft. Und der Lauda-Retter Ertl war ja das fünfte von Liberantes ominösen Absturzopfern gewesen.
Noch nicht ganz ausgenüchtert, sprang ich aus dem Wohnwagen und machte mich auf die Suche nach dem Finnen. Der war aber nicht an seinem Stand,
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