Ausgebremst
dem Ferrari mit der Nummer 1, der 1976 am Nürburgring in Flammen aufging, saß gar nicht Niki Lauda.»
Bruno Graziano lachte darüber, aber der Finne bestätigte in vollem Ernst: «Das weiß doch jeder, daß Niki Lauda bei seinem Unfall 1976 auf dem Nürburgring nicht selbst im Ferrari saß.»
Ich ahnte natürlich, daß Steve und der Finne ein abgekartetes Spiel spielten. Daß die beiden das Thema ausgerechnet auf die Zeit der Flugzeugabstürze lenkten, von denen Liberante knapp vor seinem Tod berichtet hatte, konnte kein Zufall sein. Es gab mir ja auch zu denken.
Trotzdem konnte ich es nicht leiden, wie sie sich über Niki Lauda lustig machten, von dessen T-Shirts ich jahrelang gelebt hatte. Außerdem gefiel es mir nicht, daß ausgerechnet Steve die Geschichte erzählte. Denn der nervöse Engländer mit der arroganten Himmelfahrtsnase hatte in den siebziger Jahren fast ausschließlich James-Hunt-Artikel vertrieben.
James Hunt war 1976 nur dank Laudas Unfall auf dem Nürburgring Weltmeister geworden. Das war der große Makel an Hunts Weltmeistertitel. Und Steve sah jetzt siebzehn Jahre später offenbar seine Stunde gekommen, sich für diese Schmach zu revanchieren. Und die fröhliche Kicherstimmung war eindeutig auf seiner Seite.
Der Finne schaute aber plötzlich so finster, daß alle zu lachen aufhörten, sogar seine französische Begleiterin. Bei jedem Rennen hatte der Finne ein anderes Mädchen dabei, und diesmal hatte er eine richtige Kichererbse aufgegabelt, aber jetzt verstummte auch sie für einen Moment.
Als auf einmal alle ruhig waren, hatte ich das Gefühl, daß seit zwei Stunden ununterbrochen irgendwer vor sich hin gelacht hatte.
Es war vier Uhr früh, die Zeit, in der Spaß und Ernst einander so nahe kommen wie Tag und Nacht.
«Der Unfall des Ferrari mit der Nummer 1 auf dem Nürburgring wurde nur inszeniert», behauptete Steve todernst. «Niki Lauda wollte damals aus der Formel 1 aussteigen. Wie wir alle wissen, war er ein verwöhntes Wiener Millionärssöhnchen. Er war nur in die Formel 1 gegangen, weil er so starke Minderwertigkeitsgefühle wegen seines Aussehens hatte.»
«Ich finde die Brandwunden aber sexy», kicherte die französische Freundin des Finnen wieder los.
«Damals hatte er noch keine Brandwunden», ließ sich Steve nicht abbringen. «Damals war Niki Lauda nur ein zerbrechliches Bürschchen mit einem Milchgesicht und weit vorstehenden Schneidezähnen.»
Die Französin kicherte.
«Und heute hat er immer noch dasselbe Milchgesicht», erklärte Steve. «Denn Niki Lauda war 1976 seines Formel-1-Ruhms so müde, daß er einen Identitätswechsel vornahm.» Steve redete manchmal so geschwollen, als wäre er ein Sproß aus bestem südenglischem Stiff-Upperlip-Milieu wie James Hunt und nicht ein ehemaliger Verkehrspolizist aus Sheffield mit einer Himmelfahrtsnase. «Er erlitt 1976 am Nürburgring in Wahrheit keinerlei Verletzungen, sondern lebt seither als anonyme Privatperson in der Südsee. Auf einer Insel, wo er mit einer Eingeborenen eine kleine Wirtschaft für sporadisch vorbeikommende Touristen betreibt. Ein Motorboot, eine Eingeborene, eine Hütte, sonst nichts.»
«Wieso sollte Niki Lauda das machen?» warf ich ein. Ich wunderte mich über den Trotz in meiner Stimme. Obwohl ich doch immer noch ahnte, daß Steve mit seiner provokanten Geschichte eigentlich auf etwas ganz anderes abzielte. Er starrte ja auch während seiner Erzählung immer wieder die beiden TEXUNO-Verkäufer an, die sich aber scheinbar königlich amüsierten.
Mein Unmut hatte wohl mit der offensichtlichen Freude Steves an der unmöglichen Geschichte zu tun. Offenbar wollte er eine alte Rechnung mit Niki Lauda und mir begleichen. Der französische Rotwein in meinem Blut wurde auch nicht weniger. Ich wollte die Beleidigung nicht auf Lauda sitzen lassen. Ich konnte den Spaß nicht teilen, den meine Kollegen dabei hatten, die Leistung zu schmälern, die übermenschliche Disziplin, mit der Lauda sich nach dem Unfall zurück in die Formel 1 gekämpft hatte.
«Der Rausch der Geschwindigkeit», beantwortete der Finne meine Frage an Steve.
«Ich glaube, an deinem Rausch ist nicht die Geschwindigkeit schuld», sagte ich. «Höchstens die Geschwindigkeit, mit der du trinkst.»
Die Freundin des Finnen kicherte.
«Ich rede nicht von mir», sagte der Finne. «Ich rede von Laudas Charakterveränderung. Der Rausch der Geschwindigkeit war schuld daran.»
Seine Freundin kicherte. Aber der Ernst des Finnen war nicht der
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