Ausgebremst
Hals hochkam. Und da ich nicht auf den Tisch kotzen wollte, sagte ich es lieber:
«Wann kommt denn dein Chef auf seiner Inspektionsrunde vorbei?»
Der Inbegriff des Starlebens war immer, daß der Star eine Sonnenbrille aufsetzen muß, um auf der Straße nicht erkannt zu werden. Beim Finnen war es genau umgekehrt. Er war jetzt kaum noch zu erkennen, als er seine Sonnenbrille bei hellem Tageslicht abnahm. Er schaute mir direkt in die Augen, aber ich hatte nicht lange Zeit, mich über seine roten Kokser-Augen zu wundern. Viel verwunderlicher war die Hingabe, mit der er zornig und lautstark loslegte, als wäre er nicht der Finne, sondern ein weiterer Cousin aus der Graziano-Verwandtschaft.
«Und was glaubst du, wer Senna umgebracht hat? Vielleicht Schumacher persönlich? Damit er endlich Weltmeister wird? Glaubst du vielleicht, Mercedes geht wie die Mafia her und schießt Senna vom Kurs, nur damit sie endlich ihren deutschen Weltmeister haben? Und womöglich ist es ein noch viel ausgeklügelteres Komplott! Einen Weltmeister umbringen, das könnte zur Not auch die italienische Mafia! Aber ihr Deutschen... »
«Ich bin kein Deutscher», sagte ich kleinlaut, weil sich mein Verdacht aus dem Mund des wütenden Finnen wirklich haarsträubend anhörte.
«Ihr Deutschen», beharrte der Finne, «ihr habt womöglich ein viel raffinierteres Komplott laufen als irgendwer sonst auf der Welt. Vielleicht hat das Komplott schon 1991 begonnen, als Schumacher sein erstes Formel-1-Cockpit zugeschanzt bekam. Wie wir wissen, wurde das Jordan-Cockpit ja nur frei, weil Gachot in London ins Gefängnis mußte. Vielleicht war das gar kein Taxifahrer, der gegen Gachot aussagte», höhnte der Finne, «sondern irgendein Berufsverbrecher aus Italien! Vielleicht sogar irgendein Mercedes-Geschäftsführer persönlich!»
Ich verstand damals nicht, warum ihn meine Theorie zu Sennas Tod so aufregte. Jahrelang hatte doch gerade er es geliebt, ähnliche Theorien zu spinnen.
Es war ja gerade der Finne, der immer über die deutsche Generalstabsaktion gespottet hatte, Schumacher auf Mercedes zum Weltmeister zu machen. Tatsächlich hatte Mercedes mit seinem Junior-Team über Jahre den Weg der Nachwuchsfahrer Schumacher und Frentzen in die Formel 1 vorbereitet.
Für den Finnen war es auch kein Zufall gewesen, daß die Gründung des Mercedes-Junior-Teams, einer Kaderschmiede, für die es bisher keinerlei Modell gab, ausgerechnet in das Jahr 1989 fiel. Mit dem Fall der Berliner Mauer sollte endlich auch der letzte verbleibende Schandfleck getilgt werden, meinte der Finne.
Ausgerechnet Deutschland, die Autonation Nummer eins, hatte noch nie einen Formel-1-Weltmeister gestellt!
Und nicht nur die Fahrer wurden ab 1989 systematisch ausgebildet. Auch der Einstieg von Mercedes als Rennteam war in diesem Jahr bereits beschlossene Sache. Natürlich konnte der Einstieg der Weltmarke Mercedes nicht auf die Art erfolgen, wie ein kleines Privatteam a la Jordan in die Formel 1 hineinschnupperte. Mercedes konnte nur groß einsteigen. Die Formel 1 ist aber ein derart hochgezüchtetes Unternehmen, daß selbst ein Gigant wie Mercedes sich nicht ohne weiteres einen Platz an der Sonne kaufen kann.
Um vom ersten Rennen an vorne dabeizusein, braucht auch ein Unternehmen wie Mercedes gefinkelte Langzeitstrategien. Diese über Jahre gehenden Vorbereitungen kosten Milliarden. Und die Investitionen machen sich für Mercedes nicht einmal dann bezahlt, wenn der größte Erfolgsfall eintritt und Mercedes es tatsächlich schafft, Formel-1-Weltmeister zu werden.
Deshalb war es für den deutschen Rennstall notwendig, einen größeren als den größtmöglichen Erfolgsfall zu konstruieren. Die deutsche Renommiermarke sollte nicht nur den Formel-1-Weltmeistertitel erobern. Es sollte überdies ein deutscher Pilot sein, der den Mercedes lenkte.
Blöderweise gab es nichts Schwierigeres, als in der gesamten Formel-1-Geschichte so etwas wie einen deutschen Spitzenpiloten ausfindig zu machen.
Die Schotten hatten mit Clark und Stewart gleich zwei Weltmeister. Die Argentinier mit Fangio sogar den einzigen Fünffach-Weltmeister. Die Engländer hatten Hawthorn, Hill, Surtees, Hunt und so weiter. Die Brasilianer Fittipaldi, Piquet und Senna, jeder von ihnen mehrmals Weltmeister.
Die Franzosen stellen mit dem Dauerweltmeister Alain Prost einen der besten Fahrer aller Zeiten. Und dazu eine ganze Schulklasse von Fahrern, von denen jeder einzelne besser war als die deutschen Piloten bis Michael
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