Ausgebremst
Und noch nie zuvor seit Beginn der Formel-1-
Geschichte im Jahr 1950 ist ein Weltmeister tödlich verunglückt.»
«Senna war doch gar nicht Titelverteidiger», unterbrach mich Bruno ärgerlich. «Hast du schon vergessen, daß im Vorjahr Prost vor Senna den Titel geholt hat?»
«Ich rede nicht vom jeweils aktuellen Weltmeister. Das wäre zwar ein Zufall, daß es in den dreiundvierzig Jahren kein einziges Mal den Weltmeister erwischt hat. Aber es wäre kein besonders komischer und schon gar kein verdächtiger Zufall. Weder nach Liberantes noch nach deiner verschärften Zufallsregel.»
Bruno rümpfte nur verächtlich die Nase.
«Aber der Zufall, von dem ich rede, ist viel eklatanter: Kein Fahrer, der irgendwann einmal einen Weltmeistertitel errungen hat, ist jemals verunglückt, auch nicht Jahre nach dem Weltmeistertitel.»
«So ein Schwachsinn», brummte der Finne.
Natürlich verriet ich ihnen nicht, wie ich zu der Entdeckung gekommen war. Woher mein unschlagbares Wissen über die verstorbenen Formel-1-Fahrer kam. Meine Gewohnheit, mich Nacht für Nacht mit toten Rennfahrern in den Schlaf zu wiegen, habe ich nie einem meiner Kollegen anvertraut.
«Der Weltmeistertitel war bisher eine hundertprozentige Lebensversicherung», lächelte ich. «Es sind zwar in der Formel 1 in den letzten Jahrzehnten über fünfzig Fahrer tödlich verunglückt, aber es sterben immer nur die Außenseiter. Die Nachzügler. Manchmal die zweiten. Niemals die Weltmeister.»
«Ich glaube, du hast heute wirklich einen Schock», sagte der Finne zu Bruno, also zu mir. «Das ehrt dich», nuschelte er.
«Einen Schock habe ich. Aber nicht von heute, sondern von Donnerstag, wo ich ein TEXUNO-Schild an ungewohnter Stelle gesehen habe.»
Bruno nickte zustimmend, aber der Finne reagierte nicht darauf, sondern sagte nur: «Jim Clark!»
«An Jim Clarks Wagen habe ich nie ein TEXUNO-Schild gesehen», erwiderte ich.
Der Finne schaute Bruno dafür verächtlich an, daß ich ihn so kindisch mißverstand, und sagte: «Jim Clark war wohl deiner Meinung nach nie Weltmeister?»
«Glaubst du, du mußt mir erklären, daß der Schotte 1963 und 1965 Weltmeister auf Lotus wurde?»
«Eben. Und wie ist er gestorben?»
«An einem Baum in Hockenheim.»
«Eben.»
«Nichts eben», sagte ich. «Das Rennen, in dem Clark starb, war kein Formel-1-Rennen.»
«Das ist richtig», mischte Graziano sich ein. «Clark starb in einem Formel-2-Wagen. Damals existierte die Formel 2 noch als eigenständige Rennformel. Erst in den siebziger Jahren wurde sie zur reinen Nachwuchsformel, und dann verschwand sie ganz. Hatte kein eigenes Profil mehr zwischen der Formel 1 und der Formel 3. Aber zu Clarks Zeiten fuhren auch die Formel-1-Stars zwischen den Grand-Prix-Wochenenden in der Formel 2.»
Der schöne Bruno redete schon wieder so viel, als wäre er beim Grand Prix von Italien. Aber Imola liegt ja in Italien, und daß der Grand Prix offiziell von San Marino veranstaltet wurde, war offenbar für Brunos Stimmung nicht ausschlaggebend.
«Glaubst du, du mußt mir das erklären?» brummte der Finne und schaute mir dabei direkt in die Augen.
Ich sagte: «Ich rede natürlich nur von Formel-1-Rennen. Als in letzter Zeit immer breitgetreten wurde, daß zwölf Jahre lang kein Formel-1-Pilot tödlich verunglückt ist, war ja auch nur von den Formel-1-Rennen die Rede. Bellof, Winkelhock, Stommelen, die in Sportwagenrennen verunglückt waren, zählten nicht.»
«Das ist richtig», nickte Bruno Graziano.
«Graham Hill!» wußte der Finne den nächsten verstorbenen Weltmeister. Schön langsam erwachte sein Interesse.
«Ist mit dem Flugzeug abgestürzt», antwortete Bruno Graziano für mich. Ihm waren Liberantes Flugzeuggeschichten natürlich noch in lebhafter Erinnerung.
«Ich behaupte ja nicht, daß Weltmeister unsterblich sind», erklärte ich dem Finnen. «Ich sage nur, daß in einem Formel-1-Rennen niemand stirbt, der jemals Weltmeister war. Immer nur die Mitläufer und Außenseiter.»
Meine Kollegen schüttelten immer noch die Köpfe darüber, wie man so einen Unfug behaupten konnte.
«Mike Hawthorn!» sagte der Finne.
«Weltmeister 1958», nickte Bruno.
«Hawthorn ist in seinem Ferrari verbrannt», gab ich zu.
Bruno und der Finne entspannten sich.
«Aber in seinem privaten Straßen-Ferrari», fuhr ich fort, «nicht in einem Formel-1-Rennen.»
Der Finne lachte über die Hartnäckigkeit, mit der ich die scheinbar unhaltbare These verteidigte.
Ich spürte, wie bei meinen
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