Ausgebremst
Kollegen jetzt der Ehrgeiz entbrannte, mir den Weltmeister zu nennen, der tödlich verunglückt war.
«Ausgerechnet du als Österreicher», sagte Bruno ruhig und überlegen. «Du müßtest es doch wirklich besser wissen.»
«Jochen Rindt!» versuchte der Finne ihm die Trophäe nach dieser Einleitung noch wegzuschnappen. «Und sag jetzt nicht, Unfälle im Zeittraining gelten nicht.»
«Natürlich gelten Unfälle im Training genauso. Fast die Hälfte aller tödlichen Unfälle ist im Training oder bei Testfahrten passiert.»
«Na also», lächelte Graziano. Er fühlte sich jetzt nicht mehr von mir auf den Arm genommen. Schließlich hatte ich mich lange genug tapfer verteidigt, so daß er meiner Behauptung immerhin eine gewisse Originalität zugestehen mußte. Und sie
hatte uns für einen Moment von der tragischen Stimmung dieses Rennsonntags in Imola abgelenkt. Gleichzeitig war Bruno natürlich erleichtert, daß die gespenstische These vom Tisch war.
«Jochen Rindt war Weltmeister 1970 und verunglückte in seinem Lotus beim Freitagstraining in Monza», sagte er.
«Das ist richtig», lächelte ich. «Am fünften September um fünfzehn Uhr dreißig verunglückte Rindt in der Parabolica. Ich erinnere mich gut an die Staatstrauer, die damals in Österreich ausbrach.»
Durch diese Äußerung stand sofort wieder das ganze Ausmaß der Senna-Tragödie im Raum.
Dann sagte ich: «Und doch bestätigt das meine Behauptung.»
Der Finne und Graziano setzten gleichzeitig zum Protest an, aber ich kam ihnen zuvor: «Jochen Rindt war nicht Weltmeister, als er starb.»
«Wie bitte?» schrie der Finne auf. Ich glaube nicht, daß ich ihn jemals zuvor so aufgeregt gesehen hatte.
«Das ist richtig», bestätigte Graziano, der sich in der Rolle des souveränen Sachverständigen und Liberante-Erben gefiel. «Jochen Rindt verunglückte mitten in der Saison 1970 und war im Moment seines Todes nicht Weltmeister. Er führte lediglich mit so großem Abstand in der Weltmeisterschaft, daß er bis zum Ende der Saison von seinen Gegnern nicht mehr eingeholt wurde. Jacky Ickx jagte ihn bis zuletzt, Rindts Punktevorsprung schmolz von Rennen zu Rennen, reichte aber letztlich. So wurde er posthum, erst Monate nach seinem Tod, zum Weltmeister erklärt.»
«Das ist richtig», sagte ich.
Bruno und der Finne wurden jetzt langsam ratlos. Auch Alberto Ascari war nicht in der Formel 1 gestorben, sondern bei privaten Testfahrten mit dem Ferrari eines Freundes. Nino Farina verunglückte zwei Jahrzehnte nach seinem Formel-1-Rücktritt als alter Mann bei einem Juxrennen.
Die Mienen meiner Zuhörer wurden immer respektvoller und gleichzeitig düsterer, je länger ihnen kein Weltmeister einfiel, der in einem Formel-1-Rennen tödlich verunglückt war. Und tatsächlich konnte ihnen keiner einfallen. Denn es gab keinen. Bis Ayrton Senna in Imola 1994.
Obwohl in den Wochen nach dem Unfall die ganze Welt um Senna trauerte, verlor niemand je auch nur ein Wort über diesen sonderbaren Umstand.
1989
In den neunziger Jahren war es längst üblich, den Verdacht auszusprechen, die Formel-1-Rennen würden manipuliert. Durch die unzähligen Sicherheitsmaßnahmen hatten sich die Kurse so verändert, daß kaum noch Überholmanöver möglich waren, wodurch die Rennen zwar sicherer, aber auch immer langweiliger wurden. Im Gegensatz dazu entwickelte sich der Verlauf der Weltmeisterschaft immer spannender. War sie früher manchmal schon drei Rennen vor Saisonschluß entschieden, so kam es jetzt wie von Zauberhand Jahr für Jahr zu einem Fotofinish zwischen zwei oder drei Fahrern im allerletzten Rennen.
Die vielen spannenden Zufälle wurden natürlich mit der Zeit suspekt, und in den letzten Jahren hatten immer mehr Zeitungen es gewagt, zu mutmaßen, ob sich das MillionenBusiness Formel 1 eine vorzeitige WM-Entscheidung überhaupt noch leisten konnte.
Besonders der Finne hatte es in letzter Zeit geliebt, Indizien für Manipulationen der Rennverläufe zu sammeln.
Jetzt aber schien sein Interesse an den Manipulationsgerüchten nachgelassen zu haben. Denn er reagierte auf meine Beweisführung, daß Weltmeister niemals starben, indem er Bruno brüsk anfuhr: «Jetzt kannst du mit deinen kindischen Geschichten langsam aufhören!»
«Bis vor kurzem haben dich solche Geschichten noch interessiert», sagte ich. «Aber daß du deine Meinungen ziemlich schnell änderst, hast du ja jetzt groß an deinem Wagen plakatiert.»
Der Finne sagte nichts. Ich spürte, wie etwas meinen
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