Ausgebremst
ich hatten jemals viel getrunken), aber es war ihm immer schon unmöglich gewesen, irgendwo zu sitzen, ohne sofort Musik anzumachen. Ich erinnerte mich plötzlich, wie er Theresa und mich anfangs damit genervt hatte, als er in unsere zu große und zu teure Wohnung eingezogen war.
Sein Musikgeschmack hatte sich auch nicht verbessert. Auf Knopfdruck seiner Fernbedienung begann Tina Turner zu singen, und er erzählte mir, daß er jedes Konzert der letzten Tina-Turner-Europatournee besucht hatte.
Ich lachte zuerst ungläubig, bis er mir sein wahres Interesse erläuterte: «Ich war mit einem Kollegen unterwegs, Dr. Sulzenbacher. Du erinnerst dich vielleicht.»
Ich nickte, weil ich mich an einen Kollegen aus dem Sezierkurs erinnerte, der so geheißen hatte. Mehr wußte ich nicht mehr von ihm.
«Er war mit einem Feldstecher bewaffnet», prahlte der Schönheitschirurg, «ich mit einer Dreihunderter-Telekamera. Bei den Konzerten haben wir die Nahtstellen an Tina Turners Oberschenkeln unter die Lupe genommen.»
Ich lächelte höflich über diese Anekdote aus dem Leben eines Schönheitschirurgen. Schließlich war ich es, der etwas von ihm wollte.
Er holte ein pompöses Leinenalbum aus dem Regal und zeigte mir die Fotos, die er gemacht hatte. Neben Tina Turner auch verräterische Close-ups von Cher, Uschi Glas, Mick Jagger und anderen. Er strahlte vor Begeisterung über die kunstvollen Operationen, deren Spuren ich selbst dann kaum erkennen konnte, wenn er mich darauf hinwies.
Ich habe Stiedl niemals auch nur annähernd so begeistert gesehen wie in dem Moment, als er mir die kunstvolle TinaTurner-Operation erklärte. Er selbst hatte inzwischen mehrere Operationen nach dieser bei den Konzerten erforschten Methode durchgeführt. Es war schon etwas eigenartig, auf eine monströse Vergrößerung von Tina Turners Oberschenkel zu starren und gleichzeitig ihre Stimme zu hören, die mich für einen Augenblick an den problematischen Zwölfzylinder-Matra-Motor erinnerte, der eine Saison lang den Shadow JeanPierre Jariers angetrieben hatte.
«Nicht genäht, sondern geklebt!» begeisterte sich Stiedl an der chirurgischen Glanzleistung. Er hatte in seiner Begeisterung nichts mehr von einem reichen Erfolgschirurgen. Er erinnerte mich eher an ein begabtes kleines Kind.
«Theresa hat mir erzählt, daß du eine Frage zu Niki Laudas Gesichtsoperation hast», wechselte er abrupt das Thema. Aber für ihn war es wohl dasselbe Thema.
«Ja, hätte ich.»
Wenn man bedenkt, daß ich diesem Menschen einmal meinen Zwischenrippennerv geborgt und er nur deshalb den Sezierkurs bestanden hatte, war es doch sonderbar, daß ich mich jetzt so eingeschüchtert und einsilbig verhielt. Als Medizinstudent hatte ich immer einen der sehr leicht freizulegenden Zwischenrippennerven auf Vorrat dabei, um ihn notfalls dem Prüfer vorzulegen, wenn ich einen schwierigen Kopfnerv nicht finden konnte. Stiedl hatte ich damit eine Panne erspart, die vielleicht seine gesamte Karriereplanung durcheinandergebracht hätte.
Vielleicht wäre Theresa heute noch bei mir, hätte ich ihm den Nerv nicht geliehen.
Aber ich hatte dann bald darauf mein Studium aufgegeben, und jetzt war eben Stiedl der Chirurg, und ich war es, der ihn um Hilfe bitten mußte. Obwohl wir siebzehn Jahre lang keinerlei Kontakte gehabt hatten. Nur seiner Frau Theresa hatte ich hin und wieder eine Ansichtskarte geschrieben.
Ich legte Stiedl einige der Fotos von Niki Lauda vor, die ich in den vergangenen Monaten gesammelt und immer wieder verglichen hatte. Fotos vor dem Feuerunfall am Nürburgring:
Niki Lauda im 75er Ferrari ein Jahr vor dem Unfall, ein offensichtlich gestelltes Foto, denn er sitzt ohne Helm und Balaclava im Cockpit, wirkt aber so hoch konzentriert, als befände er sich wenige Sekunden vor dem Start.
Niki Lauda in Sakko und Pullover im Gespräch mit Herbert von Karajan anläßlich einer Rennwagenshow (wenige Monate vor dem Unfall).
Niki Lauda im Profil, dem schlohweißen Enzo Ferrari zugewandt, der ihn väterlich am Overallärmel hält (1974, als Niki Lauda nur wegen der unzähligen Defekte noch nicht Weltmeister wurde).
Niki Lauda mit Sonnenbrille im Cockpit seines Flugzeugs zusammen mit Clay Regazzoni.
Niki Lauda als neunzehnjähriger Nachwuchsrennfahrer mit einem noch offenen Halbvisierhelm.
Niki Lauda als zehnjähriges Millionärssöhnchen mit einem schweren Pferdesattel in den Händen.
Auf all den Fotos war Lauda aufgrund seiner charakteristischen Gebißstellung unschwer zu
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