Ausgebremst
zweifelsfrei feststellen kannst.»
Er nahm die Fotos wieder in die Hand, widmete ihnen dieses Mal aber wesentlich mehr Aufmerksamkeit als bei seinem ersten flüchtigen Blick.
Bei dem konzentrierten Studium der Fotos änderte sich seine Ausstrahlung vollkommen. Es schlich sich wieder die Leidenschaft des Tina-Turner-Fotografen in das sonst so eitle und selbstzufriedene Gesicht. Drei, vier Minuten vergingen, in denen er kein einziges Wort von sich gab. Er legte die Fotos immer wieder um, gruppierte sie neu, legte sie in Paaren zusammen. Schließlich forderte er mich auf, mit ihm zu seinem Computer hinüberzugehen, wo er die Fotos einscannen wollte.
Ich hatte zwar schon gesehen, wie in den Druckereien Fotos von Rennfahrern eingescannt wurden, um sie auf T-Shirts zu drucken, aber das war einige Jahre her. In den letzten Jahren hatte mein Händlerengagement ziemlich nachgelassen, und ich hatte nur noch vorproduzierte Ware eingekauft und angeboten. Jetzt sah ich mit eigenen Augen die Zauberkunststücke der neuen Computer, von denen mir der Finne in letzter Zeit so oft vorgeschwärmt hatte.
Ich staunte, wie Stiedl die Fotos auf dem Bildschirm manipulierte. Zuerst brachte er alle Fotogesichter auf dieselbe
Größe, dann gelang es ihm sogar, die aus völlig verschiedenen Winkeln aufgenommenen Bilder auf ein und denselben Kamerawinkel zu normieren.
«Der Computer kann auf die Informationen aller Bilder gleichzeitig zugreifen», beantwortete er meine Frage, woher der Computer wissen kann, wie das Lauda-Gesicht aus einer anderen Perspektive aussehen würde. «Er holt sich die fehlenden Daten für das einzelne Foto bei all den anderen Fotos.»
«Aber dann verwischst du ja genau die unterschiedlichen Details, die du vergleichen willst.»
«Natürlich muß ich zwei Gruppen definieren. Die unversehrten Bilder dürfen nur durch unversehrte ergänzt werden, die verbrannten nur durch verbrannte.»
Nachdem er alle Fotogesichter gleichgerichtet hatte, zerlegte er sie wie ein Phantombildzeichner in einzelne Partien, setzte sie wieder und wieder neu zusammen. Er setzte Partien des verbrannten Gesichts in das gesunde ein, ersetzte Laudas verbranntes Ohr durch ein gesundes, verbrannte Augenbrauen, Wangen durch gesunde usw. Als er eine Weile herumgespielt hatte, brummte Stiedl: «Gute Arbeit.»
Eine zentrale Rolle spielte offenbar Niki Laudas Kinderfoto, das ich mitgebracht hatte. Immer wieder setzte er Teile des Kinderfotos in das verbrannte Gesicht auf dem Computerschirm ein, was die bizarrsten Effekte ergab. Und immer wieder murmelte er beeindruckt: «Gute Arbeit. Verdammt gute Arbeit.»
Es dauerte beinahe eine Stunde, bis er sich mehr herauslocken ließ.
Das Ergebnis war für mich allerdings ernüchternd. Stiedl war nicht von der Leistung beeindruckt, mit der einem Unbekannten das Gesicht Niki Laudas eingepflanzt worden war. Er bewunderte schlicht und einfach die chirurgische
Arbeit, mit der die Ärzte vor achtzehn Jahren das Gesicht Niki Laudas wieder halbwegs hergestellt hatten.
Er überschwemmte mich mit ausführlichen Erklärungen, die keinen Zweifel an der Echtheit Niki Laudas und an der Falschheit meines Verdachts ließen.
«Wer auch immer diesen Verdacht aufgebracht hat», erklärte mir Stiedl, «du kannst ihm ausrichten, es ist ein aufgelegter Blödsinn.»
«Vollkommener Unsinn, wie Niki Lauda sagen würde.»
«Genau», lachte der Schönheitschirurg über den schnoddrigen Lauda-Tonfall, den ich nachgemacht hatte, um zu verbergen, wie kleinlaut mir zumute war.
«Jedenfalls vielen Dank», sagte ich. «Das war...»
«Nicht der Rede wert.»
«... gute Arbeit.»
Der Schönheitschirurg konnte mit meinem zaghaften Scherz nicht viel anfangen. Er sagte nur: «Das ist reine Routine, wenn du in einer Lifthütte arbeitest.»
Ich verabschiedete mich schnell von ihm und machte mich auf den Weg nach Budapest, wo der nächste Grane Prix auf dem Programm stand.
Gars
Mir war nicht so kleinlaut zumute, weil sich herausgestellt hatte, daß Niki Lauda doch Niki Lauda war. Sondern weil ich bemerkt hatte, daß ich überhaupt nicht wußte, was ich von dem Zusammentreffen mit Stiedl eigentlich erwartet hatte.
Ich hatte damit gerechnet, Theresa zu treffen, und ich hatte gehofft, ein paar Tage in Reichenhall bleiben zu können. Im Grunde genommen war ich jetzt eine Woche zu früh zum Grand Prix von Ungarn unterwegs.
Da ich nicht zuviel über Stiedl und Theresa nachdenken wollte, kreisten meine Gedanken auf der Fahrt immer noch um
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