Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
dir heute Abend in mein Stammlokal zum Essen gehen. Vor neun Uhr geht es hier abends nie los. Wenn du also jetzt hungrig bist, mache ich dir gern eine Kleinigkeit.« Nane schaut mich ungläubig an.
»Hast du das Essen ganz eingestellt? Ich erkenne dich nicht wieder. Du bist so schlank geworden. Du machst Sport. Trinkst keinen Wein mit mir, sondern nur Wasser. Kasteist du dich, weil du wieder auf Männerschau bist?« Ich ziehe eine Grimasse. Ich suche keinen neuen Mann. Ich kann von heute auf morgen wieder mit Steffen zusammen gehen. Mein Noch Ehemann würde mich mit offenen Armen wieder aufnehmen. Auch Tobias will mich zurück. Seit zwei Wochen ist er wieder da.
»Er wohnt mit seiner Tochter Clara im Ort. Manchmal treffen wir auf einander. Wenn andere dabei sind, antworte ich ihm kurz. Treffe ich ihn allein an, sehe ich durch ihn hindurch.« Jetzt schenke ich mir auch ein Glas Wein ein. »Steffen ist mein bester Freund. Mit ihm kann ich alles besprechen. Wenn ich mal in Not wäre, wüsste ich, dass er mir zur Seite steht. Aber ich liebe ihn nicht so, wie ich Tobias geliebt habe.« Nane ist neidisch. Wie ungerecht das Glück verteilt ist. Sie hat nur einen Mann. Einen, der sie gar nicht mehr will. Bald wird sie mit ihm das Fest der Silberhochzeit feiern. Vor den Gästen wird er den stolzen Bräutigam geben und eine lange, langweilige, unwahre Rede halten. Über Durchhalten und ewige Liebe. Eigentlich könnte er seine Ansprache vom Firmenjubiläum wiederholen.
»Mein Dank gilt meiner langjährigen Angestellten, Nane. Sie war immer eine zuverlässige Haushälterin, Gärtnerin, Köchin und Erzieherin meiner beiden wunderschönen Töchter. Wäre sie nicht gealtert, würde sie auch eine Auszeichnung für geleistete Liebesarbeit erhalten.« Nane ist frustriert. Sie wäre auch gern begehrenswert und geliebt. Ich hole ein Fotoalbum aus dem Haus.
»Das hat Steffen mir letzte Woche geschickt«, sage ich und grinse beim Anblick der Bilder.
»Mein Gott, waren wir jung und schön.«
»Jung ja. Aber schön? Du warst eine unendlich hässliche Braut und mein Outfit war auch nicht viel besser«, lache ich albern und kann mich kaum auf dem Stuhl halten. Nane findet das nicht. Sie mag ihr Kleid mit den riesigen Schulterpolstern und ist der Meinung, dass ihr die Frisur heute noch stehen würde. Ich sehe mir das Viererbild an. Das Brautpaar und die Trauzeugen.
»Yannik, der war schon heiß.« Norberts bester Freund und Geschäftspartner hätte mir schon gefährlich werden können. Aber die alte Marie war treu und hatte damals nur Augen für Steffen.
»Er hat sich kaum verändert. Vielleicht hat er ein wenig zugelegt. Aber seine Figur ist noch immer tipp top. Er hat noch volle Haare, anders als Norbert.« Das Betrachten der Bilder macht Nane traurig.
»Wenn ich damals gewusst hätte, wo ich nach fünfundzwanzig Jahren stehe, hätte ich besser Reiß aus genommen.« Ich erkläre ihr, dass es nie zu spät ist, sein Leben in die Hand zu nehmen.
Der Gastronom René begrüßt mich und meine Begleitung mit Küsschen. Nane ist irritiert. Sie wurde schon lange nicht mehr geküsst. Die Leute am großen Stammtisch sprechen Deutsch, Englisch und Französisch. Nane weiß nicht, wer sich mit wem in welcher Sprache unterhält und sitzt ein wenig verloren dabei. Sie bestellt sich ein drei Gänge Menü und lässt sich den Wein schmecken. Als der Musiker Gilbert mit seiner Gitarre auf die kleine Bühne geht und mich durch das Mikrophon persönlich begrüßt, staunt sie.
»Du bist ja hier bekannt wie ein bunter Hund.«
»Und beliebt wie nie!« Nane sieht in das Gesicht eines attraktiven Mannes, der ein kleines Mädchen an der Hand hält und sich neben sie setzt.
»Du musst Tobi sein. Ich bin Nane, Maries alte Freundin aus Hamburg.« Ich schaue demonstrativ zur anderen Seite. Nane beginnt das Gespräch mit der Frage nach der Kleinen.
»Es ist schon so spät. Muss sie nicht langsam ins Bett?«
»Hier im Süden ist es üblich, dass kleine Kinder abends mitkommen«, sagt er. Er sieht ständig zu mir rüber, erhascht aber keinen Blick von mir. Er bittet Nane, ein Auge auf seine Kleine zu werfen und geht zu dem Musiker auf die Bühne. Tobias stellt sich einen zweiten Barhocker dazu und beginnt mit Gilbert zu singen. Pour que tu m'aime encore . Sie singen das Lied zur Freude aller Gäste. Mit Ausnahme von mir. Ich winke René zu und zeige an, dass ich zahlen und gehen will.
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