Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
Der Restaurantbesitzer kennt dieses Ritual schon. Es wiederholt sich bereits zum dritten Mal. Wenn Tobias diese Liebeshymne anstimmt, verlasse ich notfalls auch ohne zu zahlen das Lokal.
»Ich habe versprochen, auf die Kleine aufzupassen« . Nane will noch nicht gehen. René fordert sie zum Tanzen auf. Entzückt geht sie mit ihm auf den schmalen Bürgersteig, um sich zur Musik zu bewegen.
»Quatsch mich nicht an und nimm die Hand von meiner Schulter!«, schimpfe ich. Tobias sieht mich mit seinem Dackelblick an und bettelt.
»Marie, sprich doch endlich wieder mit mir. Ich liebe dich doch so. Warum bist du so stur?« Ich stehe auf und gehe zum Bezahlen an den Tresen.
»Sie will mir nicht verzeihen«, sagt Tobi zu Nane und entschwindet mit Clara auf seinen Schultern in die laue Nacht.
»Er hat mich eingeladen. Er will morgen Abend mit mir essen und tanzen gehen.«
»Tobi hat dich eingeladen?«, frage ich entsetzt.
»Nein, der Wirt.« Ich beruhige mich. Ich kenne René gut. Er ist ein Frauenheld. Aber für Nane vielleicht der Beste, der sie von ihren trüben Gedanken abbringen kann.
»Deinen Tobi finde ich ja zum Anbeißen. Er hat gesungen wie Sting. Für mich hat noch nie ein Mann gesungen«, sagt sie bekümmert. Sie ist blau und selig. Ich erspare mir jeden Kommentar und fahre mit ihr heim.
Nane ist aufgeregt wie ein Teenager. Sie hat ihren alten Koffer nach einem passenden Outfit durchsucht. Jogging Anzug, Bademantel und zwei Kostüme.
»Da kommt ja wohl nichts von in Frage«, spotte ich und ziehe sie in mein Ankleidezimmer. Aber die Erkenntnis, dass ich mittlerweile eine Größe 36 trage, macht die Schmach für sie nur noch größer.
»Wenn ich jetzt mit der Kreditkarte shoppen gehe, kriegt Norbert sofort raus, dass ich bei dir bin«, jammert sie. Ich spendiere ihr ein niedliches Sommerkleid und passende Schuhe.
»Das Geld gebe ich dir nächste Woche wieder, wenn du zu meiner Silberhochzeit kommst.«
»Nur wenn du mir erlaubst, dir noch einen Friseurbesuch zu zahlen.« Ich wundere mich über meine alte Freundin. Sie ist mit einem wohlhabenden Geschäftsmann verheiratet. Sie hätte das nötige Kleingeld, um sich chic zu machen. Aber Äußerlichkeiten scheinen ihr nicht wichtig zu sein. Am Nachmitttag verwandelt sich die Trutsche in eine attraktive Frau.
»Mein Hintern ist ganz schön breit«, stöhnt sie vor dem Spiegel.
»Du hast eine völlig falsche Sichtweise, meine Liebe. Sag dir doch, ich habe einen mördergeilen, breiten Arsch. Das wird der Grund sein, weshalb René heute mit mir ausgehen will.« Nane sieht mich ungläubig an, folgt aber meinem Rat und sagt: »Und Mördertitten hab ich auch. Aber guck doch mal, der Slip zeichnet sich ab.« Wo sie Recht hat, hat sie Recht.
»Dann lass ihn weg«, sage ich und Nane geht zu ihrem ersten Date seit fünfundzwanzig Jahren »unten ohne«. Ich fahre meine Freundin in den Ort und wünsche ihr viel Vergnügen. Zum zweiten Mal ziehe ich meine Bahnen im Pool. Ich grille mir ein Thunfischsteak und esse es ohne Beilagen und ohne großen Appetit. Früher habe ich gern gekocht und gegessen. Die Lust an kulinarischen Genüssen verabschiedete sich mit Tobi aus meinem Leben. Immerhin zwinge ich mich zu einer Mahlzeit am Tag. Lustlos führe ich die Gabel an meinen Mund, als es an der Tür klingelt. Ich sehe durch den kleinen Monitor und erkenne, Tobias, der am Gartentor steht. Sofort lösche ich das Licht im Haus und gehe ins Bett. Niemals werde ich ihm verzeihen!
»Er hat mich am Strand geliebt«, berichte Nane am Morgen und sie ist immer noch außer sich. »Das habe ich noch nie gemacht. Eigentlich ist er mir völlig fremd. Es ist einfach passiert. Wenn Norbert das wüsste, würde er ausflippen.« Eigentlich meint Nane, wenn Norbert das wüsste, würde er sie in die Klapse bringen. Denn so etwas traut er seiner Haushälterin nie im Leben zu. Er würde annehmen, seine Frau leidet unter Halluzinationen. Ich denke daran, wie oft Tobi mich am Strand geliebt hat, aber ich verwerfe den Gedanken an ihn sofort und frage: »Hat es sich gelohnt?« Nane schwelgt in erotischen Erinnerungen. »Ich lasse mich scheiden und suche mir einen Franzosen«, lacht sie. Jetzt muss ich eingreifen.
»René ist kein Mann fürs Leben. Er schleppt seit Jahren Touristinnen ab und kommt während der Hauptsaison oft in arge Bredouille, wenn mehr als zwei seiner Eroberungen hier zeitgleich eintreffen. Nimm die
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