Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
unerfreulichen Briefe werden rasch in der Schublade meines Schreibtisches versteckt, Werbung und die Post für Tobias lege ich wie immer auf die Kommode. Mit einem lauten Seufzer gehe ich in die Küche und setze einen großen Topf mit Wasser auf. Es soll Pasta geben. Seitdem Clara ein kulinarisches Mitspracherecht hat, gibt es häufig Nudeln zu Mittag. Mit einem kurz, kurz, lang Hupen kündigt der Hausherr sein Eintreffen an. Tobias ist verschwitzt. Seine Jeans und sein Shirt sind ölverschmiert. Zusammen mit seinem Geschäftspartner Julian wartet er die Motoren ihrer Segelyachten. Die beiden Männer haben sich im vergangenen Herbst geschäftlich zusammen getan und ein Charter Unternehmen gegründet. In den Wintermonaten ist es ein brotloses Geschäft. Vor Mai rechnen sie nicht mit großen Einnahmen. Für die Zeit der Filmfestspiele in Cannes und während der Formel Eins Saison in Monaco sind die Auftragsbücher bereits gefüllt. Aber bis dahin sind es noch drei Monate. Der Blick in das Gesicht meines Mannes, ein Kuss und eine Umarmung lassen meine Sorgen für einen kurzen Moment verschwinden.
»Nach dem Essen muss ich gleich wieder los. Julian hat einen Termin mit einem Yacht Charter Unternehmen aus Nizza verabredet. Vielleicht können wir kooperieren.« Ich bin nicht böse darüber. So kann ich mich während seiner Abwesenheit unbemerkt um die Post kümmern und ungestört wichtige Telefonate führen. Bevor ich meinen Mann mit der angespannten Finanzlage behellige, muss ich mir erst einen Überblick über das Ausmaß verschaffen. Seitdem ich meinem Sohn die Firma übertragen habe und meine aktive Arbeit als TV Shopping Verkäuferin aufgab, leben wir von den Einnahmen aus dem Mode Label. Dass die Umsätze meiner alterslosen Fashion rückläufig sind, kann ich meiner Partnerin nicht ankreiden. Caro designt und näht kreativ und rastlos wie eh und je. Die Ursache liegt bei mir selbst. Ich habe das Geschäft während der letzten zwei Jahre schleifen lassen und mich vornehmlich um Clara und meinen liebsten Ehemann gekümmert. Ein Blick in die Kontoauszüge lässt mich erschrecken. Die Reserven sind nahezu aufgebraucht. Ohne weitere Einnahmen wird es eng. »Verdammt eng«, sage ich und greife zum Telefon.
»Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für dich«, sagt Caro. Sie klingt so euphorisch, dass ich mich vor ihren Neuigkeiten nicht ängstige.
»Ich bin schwanger. Es hat endlich geklappt. Wir sind so happy, das glaubst du nicht. Aber jetzt die schlechte Nachricht. Ich werde bald aufhören zu arbeiten. Mindestens für drei Jahre werde ich Elternzeit nehmen.« Ich verstumme. Wortlos betrachte ich die Auswertungen, die sie mir auf den Bildschirm schickt. Dicke, fette, rote Zahlen. Die Ausgaben für Stoffe, Löhne und Miete überwiegen. Es ist ein Fass ohne Boden. Ich sehe die restlichen Umschläge durch. Rechnungen und noch mal Rechnungen. »Ich werde mit Tobi sprechen müssen«, sage ich laut und gehe, um eine Zigarette zu rauchen auf die Terrasse. Fünf Jahre lang genoss ich den Blick in den immergrünen Garten hinüber auf das blaue Mittelmeer. So schön, wie an diesem Tag, kam es mir lange nicht mehr vor. Soviel Arbeit und Liebe stecken in unserem kleinen Anwesen. Das Haus werde ich nie verkaufen. Nie freiwillig. Mein Gedankengang wird durch lautes Klopfen an die Fensterscheibe von Clara unterbrochen. Mit erhobenen Finger und dem Blick einer Petze ruft sie mir zornig zu: »Du sollst nicht rauchen, Mamam!« Ich drücke meine Zigarette aus und gehe zurück ins Haus. Im Wohnzimmer stelle ich den Fernseher an und schalte auf den QHS Kanal. Gespannt warte ich auf die Verkaufssendung meiner alten Kosmetik Serie. Frederik hat mir berichtet, dass er eine neue Repräsentantin eingestellt hat. Die dritte nach meinem Ausstieg. Sie ist zwar älter als ihre Vorgängerin, allerdings genauso untalentiert stelle ich nach wenigen Minuten fest.
»Die weiß doch gar nicht, wovon sie spricht«, schimpfe ich in den Fernseher. Die Neue verwechselt stets die Begriffe Anti Aging und Antioxidantien. Verärgert wähle ich die Telefonnummer der SoMa Kosmetik GmbH in Hamburg.
»Das ist nicht dein Ernst, Frederik. Wer hat denn diese Pfeife rekrutiert. Wurde sie nicht gebrieft? Die Sendung hat ja schon was von Comedy!« Fredrik gibt sich maulfaul. Ihm geht meine Kritik zu weit. Beleidigt antworte er: »Dann mach es doch wieder selber. Jemanden zu finden, der deinen hohen Ansprüchen genügt, ist ein
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