Ausgefressen
einem farblich dazu passenden Sommerhut. Ihr seidiges Haar und ihre weiblichen Rundungen erinnern mich an Elsa. Der Gedanke an meine verflossene Liebe gibt mir einen Stich ins Herz. Oder ist es der Kaffee? Ich merke, dass der Espresso meine Pumpe ganz schön zum Wummern gebracht hat. Außerdem ist es für mich eine neue Erfahrung, unterm Fell zu schwitzen. Hoffentlich krieg ich hier oben keinen Kreislaufkollaps.
Constanze nimmt ihre Sonnenbrille ab. Darunter kommt ein schönes Gesicht mit auffällig scharf geschnittenen Wangenknochen zum Vorschein. Sie erinnert mich an Otto, den Weißkopfseeadler. Wäre der eine ansehnliche Blondine in den besten Jahren, hätte er wohl ein ähnliches Auftreten wie Constanze: vornehm und zurückhaltend. Wobei Constanze auch noch sexy ist, was man von Otto nicht behaupten kann.
»Darf ich dir was anbieten?« Phil deutet auf sein blaues Sofa.
»Espresso?«, fragt sie und setzt sich auf den vorderen Rand des Polsters, als würde sie es nicht zu sehr beanspruchen wollen. Sie nimmt den Hut vom Kopf, legt ihn neben sich und schüttelt kurz ihre blonde Mähne.
Phils defekte Kaffeemaschine produziert zwei Tässchen Kaffee und faucht dabei wie eine Katze, der ein Nashorn auf dem Schwanz steht.
»Du hast schlechte Neuigkeiten für mich, nicht wahr?« Ihre Stimme klingt zart, fast zerbrechlich.
»Wie man es nimmt. Was deinen Vater betrifft, da sind wir genau so schlau wie vorher«, antwortet Phil. »Da er immer noch verschwunden ist, wollen wir mal hoffen, dass es ihm gutgeht.«
Sie wirkt nicht erleichtert, sondern grüblerisch. »Aber?«
Phil stellt die Tassen auf den Couchtisch, zieht einen Stuhl heran und setzt sich zu ihr. »Aber ich bin mit meinem Latein am Ende, Constanze. Irgendwo im oder am Zoo verliert sich die Spur deines Vaters, und ich weiß beim besten Willen nicht, wo ich noch nach ihm suchen soll.«
Schweigen. Sie sieht ihn lange mit ihren schönen, traurigen Augen an.
»Glaubst du, er ist …« Sie scheint es nicht übers Herz zu bringen, den Satz zu Ende zu führen, zieht ein kleines Taschentuch hervor und zupft nervös daran herum, bevor sie sich dezent die Nasenspitze abtupft.
»Ich weiß es nicht«, antwortet Phil. »Wie schon gesagt, deutet das Blut, das ich am Eiswagen gefunden habe, auf keine tödliche Verletzung hin. Außerdem teilt dein Vater, so wie es aussieht, nicht das Schicksal der drei Ermordeten, sonst hätten wir seine Leiche im Zoo gefunden.«
Constanze nippt an ihrem Espresso. Ich beobachte sie aufmerksam und frage mich, was mir an ihr so seltsam vorkommt. Phil wirkt zwar auch merkwürdig, aber das kann man leicht erklären. Er ist ganz offensichtlich in seine Auftraggeberin verknallt, und das nicht zu knapp. Die Indizien sind erdrückend. Sein gewöhnlich glasiger Blick verwandelt sich in einen Funkenregen, wenn er sie ansieht, und das tut er im Grunde ununterbrochen. Sein kratziger Bariton klingt, als hätte man ihn mit Nougat eingeschmiert, und seit Constanze diesen Raum betreten hat, habe ich Phil häufiger lächeln sehen als in der gesamten Zeit, die wir uns kennen. Zusammengefasst würde ich sagen, dass er noch wesentlich besoffener aussieht, als ich ihn jemals erlebt habe, wenn er tatsächlich besoffen war. Aber ich will mir nicht anmaßen, ihn zu verurteilen, schließlich bin ich es, der sich der Liebe wegen kürzlich vor einen Bus geworfen hat. Wenn es um Herzensangelegenheiten geht, dann sind wir alle nicht vor Dummheiten gefeit, egal ob Mensch oder Erdmännchen.
»Und was heißt das?«, fragt Constanze.
»Wir sollten den Fall der Polizei übergeben«, antwortet Phil sachlich.
Sie schaut ihn an, und dieser Blick macht mir schlagartig klar, was mich schon die ganze Zeit an Constanze irritiert hat. Es sind ihre Augen. Ihre schönen, blassblauen Augen. Während Constanzes Gesicht Besorgnis, aber auch Hoffnung und Vertrauen widerspiegelt, lese ich in ihren Augen nur ein einziges Gefühl: blanke Angst. Sie kämpft dagegen an, aber unter der Oberfläche brodelt es. Ein Mensch würde das Flackern ihrer Pupillen kaum bemerken – selbst dann nicht, wenn er nicht so blind vor Liebe wäre, wie Phil es gerade ist. Dazu braucht es schon ein Erdmännchen. Unsere Fähigkeiten zum Grimassenschneiden sind derart eingeschränkt, dass wir lernen, in den Augen unseres Gegenübers zu lesen. Die Frage ist: Warum verbirgt Constanze ihre Angst vor Phil? Warum spielt sie ihm etwas vor, wo es doch verständlich wäre, dass sie Angst um ihren Vater hat? Und wo
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