Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)
befriedigenden Arbeit verbunden ist.
Der Fadenriss
Während wir zu einer Gesellschaft akademisch ausgebildeter Bildschirm- und Tastaturarbeiter werden, wächst unsere Sehnsucht nach händischer Arbeit. Die Zeitschrift
Landlust
hat in gerade einmal sechs Jahren das Auflagenniveau von
Spiegel
und
Stern
erreicht und damit eine Auflagenentwicklung genommen, die Bände spricht: wie stark wir den Verlust von Ursprünglichkeit und ländlicher Einfachheit wahrnehmen! Übrigens thematisiert der Gartenkatalog, den es bei Manufactum seit 1998 gibt, genau diesen Verlust und bietet mit großem Erfolg Pflanzen und Saatgut von der alten Kartoffelsorte bis hin zu Hochstammpflanzen für Streuobstwiesen an.
Freilichtmuseen und Handwerkermärkte üben eine wachsende Faszination aus. Insbesondere Kinder bekommen das Glänzen in den Augen, wenn sie einen geschickten Handwerker bei der Arbeit beobachten. Manche unserer Eltern oder Großeltern erzählen noch voller Stolz, wie sie als Meister in der Fertigung gearbeitet haben, in der Gießerei als Formermeister oder in der Autoproduktion als Kfz-Meister beim Daimler, als es dort noch eine Meisterkultur gab, oder in der Kohleförderung im Ruhrgebiet oder im Saarland.
Heute gelten diese Tätigkeiten aus der Vergangenheit als »niedere Arbeiten«, während ein Job als Sachbearbeiter im Büro als höherwertig angesehen wird. Aber die »alte« Arbeit ist keine alte Arbeit, sie wird heute nur woanders auf der Welt erledigt. Und sie ist gar nicht so einfach. Ein richtig gutes Messer herzustellen, ist anspruchsvoll, sicher anspruchsvoller als viele Sachbearbeiterjobs. Dass Schreibtischarbeit gut und händische Arbeit schlecht sein soll, ist einfach nur eine völlig verschobene Wahrnehmung, ein Common Sense, der mit der Realität nichts gemein hat. Was für ein kollektiver Entzug von Selbstwertgefühl!
Ein gutes Besteck herzustellen ist eine Kunst, und keine kleine. Da kommt es auf die Materialbeschaffenheit an, auf die Werkzeuge, auf Druck und Winkel und Zug und Abstände bis ins Detail, auf den Radius, mit dem die Gabelzinke angeschliffen wird, auf die Gewichtsverteilung und den Schwerpunkt der Gabel, damit sie gut in der Hand liegt … In Solingen wurde über Jahrhunderte getüftelt, bis man dort die weltbesten Messer, Gabeln und Löffel herstellen konnte. Generationen von Handwerkerfamilien haben dort eine einzigartige Kultur und ein unglaubliches Know-how, ein verblüffendes Können und Geschick ausgebildet. Und dort wurde mit Stolz gearbeitet! Es gab eine persönliche Verbundenheit und Verantwortlichkeit für die Qualität des Endprodukts. Wenn am Ende die Gravur des Herstellerwappens angebracht wurde, dann wusste jeder, der daran beteiligt war: Dieses Besteck ist Weltspitze, keiner kann das so gut wie wir.
Produktmanager für billige, austauschbare, importierte Haushaltsschwämme bei einem globalen Konsumgüterkonzern zu sein, ist im Vergleich dazu doch ein sehr trauriger Job. Das haben wir einfach noch nicht begriffen. Wir sitzen mit der »Frequent Traveller Card« in der Business-Lounge am Flughafen, übernächtigt vom Jetlag, mit Blackberry und Notebook, und mir fehlt der Glaube, dass wir im Rückblick sagen werden: Das war ein erfülltes, sinnvolles Arbeitsleben!
Die Bewertungskriterien des Arbeitsmarkts sind durch den Primat der Kostenoptimierung so verschoben, dass wir stumpfe, einseitige, vom Produkt weit entfernte, unsinnliche, sinnentleerte Tätigkeiten hundertfach höher bewerten als gute Arbeit.
Wir können heute nicht einmal mehr den Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Besteck erkennen, wenn wir es in der Hand haben. Wir haben alles verlernt. Manufactum-Gründer Thomas Hoof schrieb einmal: »Das Wissen der in der ersten Hälfte des Jahrhunderts aufgewachsenen Menschen über Wert und Unwert ihrer Alltagsdinge überstieg dasjenige heutiger ›Fachverkäufer‹ um ein Vielfaches.«
Das ist ein großer Kulturverlust. Ja, man kann eine Gabel auch einfach an der Perlflussmündung aus einem Blech ausstanzen und für ein paar Cent nach Europa verschiffen, um sie dort für einen Euro zu verkaufen. Wir bemerken nicht einmal, wie unhandlich und unpraktisch sich so eine Gabel beim Essen anfühlt, während wir am Tisch nebenher ins iPhone schauen, um den Börsenkurs unseres Investmentfonds nachzuverfolgen, der in Mittal Steel investiert hat, deren Stahl wir gerade im Mund haben. Die Rendite ist uns eben wichtiger als das Produkt, das die Rendite erwirtschaften soll.
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