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Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)

Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)

Titel: Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uli Burchardt
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Schatten spendeten. Damit das funktionierte, züchteten die Obstbauern spezielle Hochstammsorten, beispielsweise die Rote Sternrenette, die unsere Großeltern noch als »Weihnachtsapfel« kannten, oder den Ludwigsapfel, der vor hundert Jahren noch der häufigste Apfel in Deutschlands Südwesten war und der heute kaum noch zu finden ist.
    Die Streuobstwiesen sterben aus. Heute sind sie so selten geworden, dass sie auf der Roten Liste der Biotope Mitteleuropas stehen. Keiner will sie mehr bewirtschaften. Die Streuobstwiesen haben nämlich nicht nur Vorteile. Ein großer Nachteil: Der Obstbauer muss regelmäßig mit Leitern auf die Bäume hoch, zum einen, um sie einmal im Jahr zu schneiden, und zum anderen zum Ernten. Das ist anstrengend, und es erfordert viel Können und Wissen.
    Aber es ist eine wunderschöne, zutiefst befriedigende Arbeit. Und die Streuobstlandschaften sind ebenfalls wunderschön. In Südwürttemberg oder im Hegau am Bodensee oder auch im Siebengebirge bei Bonn gibt es noch ganze Landstriche mit Streuobst. Auch ökologisch sind das tolle Landschaften, die Vielfalt der Arten ist in diesen Gebieten enorm. Die Krautschicht einer mit Rindern oder Schafen beweideten Streuobstfläche beherbergt etliche seltene Pflanzen: Frauenmantel, Herbstzeitlose, Wilde Möhre und viele mehr. Dann Käfer, Wespen, Bienen, Hummeln, Spinnen, Tausendfüßer, Kröten, Frösche, Blindschleichen, Eidechsen, bis zu 5000 verschiedene Tierarten tummeln sich in diesem Biotop. Am spektakulärsten dabei sind die vielen Sing- und Greifvogelarten.
    Jeder, der sie kennt, liebt diese Landschaften. Aber in den letzten paar Jahrzehnten ist der Bestand an Streuobstwiesen hierzulande um fast 80 Prozent zurückgegangen, und die letzten bestehenden Flächen werden häufig nicht mehr gepflegt, die sterbenden Altbäume werden nicht mehr ersetzt, die Früchte fallen einfach herunter und verfaulen. Wir brauchen sie auch gar nicht mehr, wir haben ja jetzt Äpfel aus Neuseeland.
    Neuseeland liegt am anderen Ende der Welt – Luftlinie: 18 000 Kilometer. Vor einigen Jahrzehnten dürfte es mit Sicherheit im gesamten deutschsprachigen Raum kein einziges Haus gegeben haben, das weiter als bloß ein paar Kilometer vom nächsten Apfelbaum entfernt stand. Wenn man eine Weile sucht, findet man jedoch immer ein paar Wissenschaftler, die diese unterschiedlichen Entfernungen für belanglos erklären. Wie der
Spiegel
2008 berichtete, wollen an der Uni Gießen einige Vertreter dieser Zunft allen Ernstes nachgewiesen haben, dass die Energiebilanz eines neuseeländischen Apfels aus industrieller Großproduktion günstiger sei als die eines Apfels aus einem einheimischen Kleinbetrieb. Argument: Die Lagerung in energiefressenden Kühlhäusern verbrauche mehr Energie, als für den Transport aus Neuseeland aufgewendet werden müsse. 18 000 Kilometer. Hut ab. Ich kann nicht glauben, dass diese Rechnung wirklich stimmt. Wenn aber doch, dann könnte selbst das kein Argument sein, Äpfel aus Neuseeland zu kaufen! Vielmehr wäre es ein Grund, erstens den hiesigen Obst-Logistikern kräftig auf die Finger zu klopfen und zweitens sich die Frage mal wieder zu stellen, ob wir an Ostern frische Äpfel brauchen.
    Aber Streuobstwiesen zu unterhalten ist nicht nur anspruchsvoll, es ist auch mühsam. Ganz offensichtlich will diese Arbeit heute niemand mehr machen. Außerdem gibt es auch hier das Primat der niedrigen Kosten: Der Plantagenanbau mit der maschinenoptimierten, hochintensiven Dichtpflanzung von nur mannshohen Niedrigstammbäumen ist für den Obstbauern rentabler, weil die Erträge pro Fläche und pro Zeit viel höher sind als im Streuobstbau. Das macht aus einer gewissen Perspektive ja auch Sinn – wenngleich dieser industrielle Obstanbau auch eine sehr intensive Wirtschaftsform ist: Wie jede Monokultur ist auch diese sehr anfällig für Krankheiten und Schädlinge und braucht deshalb intensiven chemischen Pflanzenschutz. Aber das Problem sind gar nicht die Maschinen oder der industrielle Anbau. Es geht hier nicht um ideologische Argumente. Sondern darum, dass bei der intensiven Obstwirtschaft sehr viel für immer verloren geht. Verloren gehen zum Beispiel mit den Streuobstwiesen nicht nur schöne und ökologisch wertvolle Landschaften. Was wir darüber hinaus verlieren, ist das Know-how und die Kultur, die mit dieser alten Anbauform verbunden ist. Und mit dieser Kultur und dem alten »Produktwissen« verschwindet auch der Stolz, der mit dieser wertvollen und tief

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