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Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)

Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)

Titel: Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uli Burchardt
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einfach
die
Mehrheit. Es gibt ganz unterschiedliche und stets wechselnde Mehrheiten, die ihrerseits milieu-, peer-group- und auch situationsabhängig sind. Das ändert aber nichts daran, dass die meisten Leute irgendeiner dieser Mehrheiten angehören wollen, um sich nicht als Aussätzige zu fühlen. Der Anpassungsdruck an die jeweilige Mehrheit ist gerade bei Kindern so stark, dass sie sich im Normalfall nicht dagegen wehren können, denn dazu müssten sie das ganze Spiel durchschauen. Also gehen sie ihren Eltern so lange auf die Nerven (wogegen sich wiederum die Eltern nicht wehren können), bis sie an Weihnachten auch endlich ihren Scout bekommen. Womit die Scout-Quote in der Klasse noch höher und der Druck auf die wenigen verbliebenen Hinterwäldlerkinder noch größer geworden ist.
    Das Motiv der Zugehörigkeit ist ein riesiger Wirtschaftsfaktor. Das funktioniert bestens beispielsweise bei der Playstation, dem iPhone oder dem iPod, auch bei den jeweils angesagten Modemarken. Wenn man das In-Produkt nicht hat, fühlt man sich merkwürdig doof und abgehängt. Diesen unangenehmen Zustand will man nicht aushalten müssen, der Kaufdruck steigt wie der Atemreflex unter Wasser mit zunehmender Zeitdauer.
    Das ist auch kein neues Phänomen. In meiner Kindheit und Jugend waren es das Boss-Shirt oder die Adidas-Sneakers. Meine Eltern sagten: Quatsch, das brauchst du nicht. Also lief ich zwischen all den markenbewehrten Mitschülern mit dem selbst gestrickten Omapulli herum und handelte mir Hohn und Spott ein: »Wie abgefahren!«, »Sag mal deinen Eltern, sie sollen am Wochenende mit dir was Gescheites einkaufen gehen!«, »Was hast du denn an?«, »So würde ich mich nicht in die Schule trauen!«
    Über die Marken haben meine Mitschüler unter Ausschluss meiner Person sogar differenzierte Hierarchien gebildet, natürlich unbewusst. Die Chefarztkinder-Kaste trug Fruit of the Loom, Lacoste und Benetton. So ein Benetton-Strickpulli mit V-Ausschnitt und diesem Karomuster wie auf Tante Käthes Sofadecke machte schon was her und gruppierte den Träger unter die oberen Zehntausend der Schulklasse ein. Die Grüppchen bildeten sich unmerklich, aber mit großer Treffsicherheit, die unterschwellige Konkurrenz war groß.
    Ich gehörte zu einer winzigen Randgruppe derer, die generell nicht mitziehen konnten. Dementsprechend wurden wir armen Schweine wahlweise links liegen gelassen oder gehänselt.
    Heute sind die Objekte (iPod touch) und Marken (Abercrombie & Fitch) andere, aber die Mechanismen von Konkurrenz, Hierarchie und Ausgrenzung sind die gleichen. Das ist einfach nur menschlich und keinesfalls zu kritisieren. Es eröffnet den Kindern und Eltern schlicht ein frühes Lernfeld, wie sie mit dem Motiv der Zugehörigkeit am besten umgehen. 95 Prozent votieren offenbar für: Anpassung. 8
    Meldet man sich freiwillig zur Minderheit, muss man wissen, was man tut. Denn wenn man selbstbewusst Außenseiterpositionen vertritt, ist die Resonanz berechenbar heftig. Meine Tochter sagte vor Jahren einmal wahrheitsgemäß zu anderen Eltern: »Wir gehen nicht zum Aldi.« Es dauerte nicht lange, da kam der Bumerang zu mir zurück. Wie übel das sei, diese Arroganz. »Ihr seid wohl was Besseres!«
    Das ging mir als Student auch schon so. Alle gingen zum Discounter, ich nicht. Das brachte mir den Spitznamen »der Graf« ein: »Ach, der Graf betritt ein solches Etablissement ja nicht, dann müssen wir Fußvolk uns eben damit abfinden, seiner Gesellschaft ledig zu sein, während wir billigem Konsum frönen …« – In Wahrheit habe ich nebenher im Biergarten gearbeitet, um mir zum Beispiel leisten zu können, nie beim Discounter einkaufen zu müssen.
    Eigentlich bin ich kein anspruchsvoller Esser, ich bin mit einer Butterbrezel schnell zufriedenzustellen. Und ich bin auch kein Snob. Beispielsweise bin ich Raucher, ich bin Jäger und ich mag auch nicht in einer Großstadt wohnen. Das ist zwar jeweils nicht mehrheitsfähig, aber eben auch nicht elitär. Ich habe lediglich diesen seltenen Hang zu hochwertigen Produkten … und finde es schlicht interessant, wie meine Umwelt darauf reagiert. Ganz offensichtlich empfinden Menschen, die einfach so im Mainstream mitpaddeln, Außenseiterpositionen unterschwellig vollautomatisch als Angriff. Warum eigentlich?
    Sogar ein SPD-Oberbürgermeister, mit dem ich mich über die Folgen einer Discounter-Ansiedelung in seiner Stadt stritt, warf mir moralische Keulen an den Kopf: »Erzählen Sie das mal einer

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