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Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)

Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)

Titel: Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uli Burchardt
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niemand mehr Geld für die erneute Prüfung und Zulassung, fällt sie aus der Sortenliste, und es ist dann automatisch illegal, sie als Saatgut in Verkehr zu bringen. Das Beste kommt aber noch: Zu den Zulassungskriterien gehört neben zahllosen »technischen« Kriterien auch explizit die »Marktbedeutung«. Das heißt, nur das, was häufig angebaut und viel verkauft wird, was also Mainstream ist, kann auch auf der Liste bleiben und legal vermehrt werden. Das ist so unglaublich wie wahr.
    Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine alte Kartoffelsorte entdeckt, die unvergleichlich schmeckt. Sie würden sie fachmännisch vermehren, ernten und dann zum Verkauf ins Internet stellen. Schon hätten Sie eine bußgeldpflichtige Ordnungswidrigkeit begangen! Selbst wenn Sie jemand auf diesen Rechtsverstoß aufmerksam macht, bevor ein Abmahnprofi Sie anschreibt: Sie könnten sich das Sortenzulassungsverfahren gar nicht leisten. 9
    Diese Gesetzeslage ist so absurd, dass es für Thomas Hoof, den Manufactum-Gründer, ein persönliches Vergnügen war, dagegen schon aus Prinzip regelmäßig zu verstoßen. Manufactum war mit seinem Verkauf von alten Nutzpflanzensorten seinerzeit wohl ein ständiger Prüfkandidat für das Bundessortenamt (ja, so ein Amt gibt es tatsächlich!).
    Einmal hatten wir in meiner Manufactum-Zeit einen Prüfer da. Er äußerte den Verdacht, dass wir nicht zugelassene Sorten kommerziell vertreiben. Hoho! Und deshalb wollte er alle Ausgangsrechnungen sehen. Ich sagte, dass es diese Rechnungen bei uns nur digital gäbe. Und das bedeutete bei der Größe von Manufactum: Hunderttausende von Datensätzen. Ich fragte ihn, ob er einen Kaffee wolle, aber nach nur einigen flüchtigen Blicken auf den Bildschirm gab er auf und ging.
    Ich vermute, dass die Kommunikations- und Marktmacht von Manufactum damals schon so groß war, dass das Amt nichts unternahm. Wir haben damals offensichtlich gegen das Sortenrecht verstoßen. Und die Prüfer haben die Finger von uns gelassen. Hoof war der gefeierte Held der Anti-Sortenamt-Bewegung … Der Aufschrei der Kunden wäre eben einfach zu laut gewesen, wenn das Sortenamt versucht hätte, dagegen vorzugehen. Es ist einfach so: Wer sich durchsetzen will, braucht genügend Masse.
    Breit werden

    Genügend Masse haben heute zum Beispiel die Mainstreams Auto, Bio, Flugreisen, Coffee to go, Baumarkt, Fast Food, Ikea, Media Markt, Fernsehen, aufgesetzte amerikanische Freundlichkeit, Klimaschutz, Rauchverbot, Fahrradhelm, Joggen, iPhone,
Bild
-Zei tung , Fußball …
    Interessant ist dabei, dass immer wieder Nischen einen Hype erfahren und danach zum Mainstream werden. Der Tattoo-Künstler Don Ed Hardy zum Beispiel hatte in den 70er Jahren das Tätowieren in Japan gelernt, damals eine völlig exotische Nischenkunst, populär allenfalls unter Matrosen. Hardy eröffnete 1974 ein Tattoo-Studio in San Francisco und war bald ein Szene-Star für Insider. Sein Erfolg wurde immer breiter und gleichzeitig wurde das Tätowieren immer populärer. Heute ist in bestimmten Gesellschaftsschichten derjenige ein Außenseiter, der kein Tattoo hat. Ed Hardy gründete ein Modelabel, das vom französischen Stardesigner Christian Audigier lizenziert und zum Welterfolg gemacht wurde. Heute tragen Kids auf der ganzen Welt Ed-Hardy-Klamotten, und wer keine hat, ist echt uncool.
    Das funktioniert auch mit einzelnen Produkten. Es gibt da diese Laufräder aus Holz für Kinder vor dem Fahrradalter. Sie heißen Like-a-bike und waren vor über zehn Jahren einmal ein Nischenprodukt, das noch niemand kannte. Heute hat fast jedes Kind ab zwei ein Laufrad, und es hat bereits angefangen, dass Eltern mit mitleidigen Blicken auf andere Eltern herabschauen, die sich diesem neuen Mainstream noch nicht angeschlossen haben: »Du, dein Sohn wird sich später mal ganz schön schwertun mit dem Fahrradfahren. Weißt du, unserer hat halt ein Like-a-bike …«
    Der Mainstream wechselt auch immer mal wieder. Vor dreißig Jahren war die französische Küche der Mainstream der gehobenen Esskultur, heute ist es die italienische Küche. Espresso, Latte Macchiato, Bruschetta, Aceto Balsamico, Caprese, Mozzarella, Parmigiano – all das wäre vor dreißig, vierzig Jahren höchst verwunderlich gewesen, heute ist es normal, Mittelklasse, Allerweltsgeschmack. Und wer weiß, vielleicht ist in zwanzig Jahren die arabische Esskultur vorherrschend in Europa.
    Einzelne Firmen können sogar richtiggehend kulturverändernd wirken, wenn sie Mainstream werden.

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