Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)
lässt. Oder einige jüngere Winzer an der Mosel, die wiederentdeckt haben, wofür ihr Terroir eigentlich steht, und die sowohl Topqualität mit modernster Technik produzieren als auch die Herkunft ihres Produkts kommunizieren können – im Gegensatz zu ihren Vätern, die mehr Sinn für Ausbeute und Menge hatten und den Moselwein mit veralteter Produktionstechnik zu einem komplett austauschbaren, beliebigen Supermarktwein niederer Qualität verkommen ließen.
Regionalität heißt nicht Rückwärtsgewandtheit. Es ist die Kunst zur Innovation unter Bewahrung der Werte und der einzigartigen Qualitäten eines Produkts, einer Produktionsweise und einer Region. Und die Kunst, genau das den Kunden zu verkaufen.
Wie stark die mit der Herkunft eines Produkts verbundene Emotionalität sein kann, wissen Sie selbst, wenn Sie einmal ein Souvenir aus dem Urlaub mitgebracht haben. An der Flasche Wein, die wir auf dem italienischen Weingut gekauft haben, hängen Erinnerungen, Emotionen – ein warmer Abend, die weite, hügelige, sonnenbeschienene Landschaft, fröhliche Kinder, ein Platz im Schatten, ein perfektes Essen, ein verliebter Blick … – all das kann ein Produkt für uns »speichern«.
Es genügt schon ein Besuch auf den heimischen Wochenmärkten, um uns spüren zu lassen, was wir verloren haben, seitdem die Discounter mit ihren globalisierten Wertschöpfungsketten unsere Versorgung mit billigen Konsumgütern ohne Herkunft übernommen haben. Im Getümmel dieser Märkte, wo grob Gewogenes und grob Kalkuliertes direkt beim Erzeuger gekauft werden kann, dokumentiert sich unsere Sehnsucht nach Authentizität und Regionalität.
Die Menschen gehen in den Billig!-Billig!-Billig!-Discounter und kaufen knallhart nach Preis und mokieren sich darüber, wenn die Verpackung eine Delle hat. Und direkt anschließend gehen sie auf den Markt und akzeptieren es, wenn die Marktfrau mit den schwarzen Rändern unter den Fingernägeln »Drei fuffzich« blafft – und alle sind zufrieden. Es ist, als ob die Kunden eine andere Welt betreten hätten, in der sie sich plötzlich anders verhalten. Die Marktfrau hat offenbar eine ganz andere Autorität, um einen hohen, angemessenen Preis für ihre Ware durchzusetzen als das Milliardenunternehmen im Lebensmitteleinzelhandel. Warum? Weil sie selbst noch vor drei Sunden das Gemüse aus dem Boden gebuddelt hat.
Regionale Herkunft, gut kommuniziert, schlägt jeden Discounter in Preis und Marge um Längen. Es ist ein wirtschaftlich überlegenes Konzept. Der wahre Grund für die Attraktivität regionaler Produkte liegt in der Sicherheit, die sie ausstrahlen.
Letzten Endes leben wir auch heute noch von Grundnahrungsmitteln, von Brot und Kartoffeln, von Fleisch und Milch, von Butter, Gemüse und Obst. Letzten Endes haben wir noch nichts Besseres als Kleidung gefunden, um uns vor Kälte und Nässe und Blicken zu schützen. Letzten Endes haben wir das Konzept des Hauses in den letzten paar Tausend Jahren nicht mehr grundlegend verändert. Letzten Endes brauchen wir ein bestimmtes Set von Produkten des täglichen Bedarfs, weil wir zivilisierte Menschen sind: Schuhe, Besteck, Türen, Fenster, Möbel, Schaufeln. Sie sind mit Dolby Surround, iPhone und Toyota Prius nicht zu ersetzen, sondern nur zu ergänzen.
Was wir brauchen und wonach wir uns sehnen, ist das sichere Gefühl einer lebenswerten und lebensfähigen Gesellschaft in einem gewissen Zirkelschlag um uns herum, und zwar in einem überschaubaren Maßstab. Hier in der Nähe, in der jeweiligen Region, liegen unsere Arbeitsplätze, gehen unsere Kinder zur Schule, kennen wir die Nachbarn. Eine solche Umgebung bietet uns Identifikation und Stolz, und sie ermöglicht uns soziale Kontrolle: Das Verantwortungsbewusstsein des Produzenten steigt naturgemäß mit zunehmender Nähe zum Abnehmer. Regionalität erdet. Sie bietet Versorgungssicherheit. Regionalität ist Dezentralität. Und Dezentralität ist Vielfalt. Und Vielfalt ist Stabilität. Das lehrt uns jedes Ökosystem.
Das genaue Gegenteil davon ist die real existierende Shareholder-Value-Wirtschaft, bei der die Wall Street in Downtown Manhattan die Macht hat, die Wirtschaft in der deutschen Provinz, in unseren Heimatorten, zu dominieren, aber von unseren lokalen Problemen so weit entfernt ist wie ein Goldfisch vom Mars. Eine Gesellschaft, die sich nur dann versorgen kann, wenn das Öl noch fließt und gerade kein Bürgerkrieg, Terroranschlag, Börsencrash, Vulkanausbruch, Erdbeben oder Tsunami an
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