Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)
Kundschaft entlang der Theatinerstraße. Sie verbindet den Odeonsplatz mit dem Marienplatz und ist eine elegante Einkaufsstraße. Im Fachjargon: 1a-Lage. Jeder Unternehmensberater, jeder Konzernmanager, jeder Einzelhandelsexperte hätte Manufactum geraten, das erste Ladengeschäft von Manufactum dort in 1a-Lage zu eröffnen. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz: Wenn du im Einzelhandel Erfolg haben willst, musst du in die besten Lagen. Erst recht mit einem eher hochpreisigen Konzept wie Manufactum. Deshalb sind dort Mieten von manchmal über 200 Euro pro Quadratmeter und Monat auch gerechtfertigt: Da, wo jeder hinwill, weil dort so viele Geldbeutel herumgetragen werden, erzeugt der Markt eben entsprechend hohe Mieten. Würden die Ladengeschäfte diese Mieten nicht erwirtschaften, wären sie auch nicht so hoch. Eindeutige Fachmeinung: Mit deinem Laden musst du vorne sein! Da, wo die Laufkundschaft ist. Du machst einen Riesenfehler, wenn du nicht vorne bist! 50 Meter hin oder her entscheiden über Wohl und Wehe! Sagt die vereinte Weisheit der Experten.
Wir bei Manufactum scherten uns nicht um diese Experten. Und wir wollten außerdem grundsätzlich nie in eine Schublade passen – nicht in die edle, teure, aber auch nicht in die Öko-Schublade, nicht in die links-alternative, nicht in die konservative und auch nicht in sonst irgendeine Schublade. Wir haben wie immer von allem etwas gebraucht. So auch bei der Wahl der Lage für das neue Geschäft: Wir wollten nicht vorne sein. Wir wollten eine Lage ohne Image.
Wir eröffneten etwa 100 Meter weiter hinten, in den Fünf Höfen, am Ende der unscheinbaren Prannerpassage ein 500-Quadratmeter-Geschäft. Wer nicht wusste, dass dort Manufactum war, der fand es nicht. (Heute werden Sie Manufactum dort erst recht nicht finden, denn inzwischen ist das Ladengeschäft in deutlich größere Räume in der Dienerstraße umgezogen und den ehemaligen Laden in der Prannerpassage bewohnt nun die Manufactum-Tochter Magazin.)
Während also neben unserem neuen Laden Ermenegildo Zegna feine italienische Mode dekorierte, stellten wir zur Eröffnung Wurzelbürsten, Kernseife und verzinkte Blecheimer ins Schaufenster. Wir dachten uns: Die Münchner gehen shoppen, schauen bei Armani, Gucci und Zegna ins Schaufenster, trinken einen Espresso Macchiato und kommen dann bei uns vorbei und schauen auf Wurzelbürsten und Zinkeimer. Das wird sie aus den Schuhen hauen.
Und so war es. Wenige Stunden nach der Eröffnung heuerten wir einen Sicherheitsdienst an, denn die Menschenmassen waren kaum mehr zu kontrollieren. Die Wachleute bugsierten die Leute kontrolliert aus dem Laden, denn wir hatten Angst, dass es bei einem Stromausfall Tote geben würde. So voll war der Laden. Auch ohne 1a-Lage, auch ohne 200 Euro pro Quadratmeter.
Die Manufactum-Ladengeschäfte waren ein großartiger Erfolg (und sind es immer noch). Ohne Marktforschung und ohne Expertenrat. Vermutlich gerade deshalb, weil wir darauf verzichtet, ja nicht mal daran gedacht hatten. Stattdessen entsprang der Erfolg rein aus unternehmerischem Wagemut, solidem Bauchgefühl und Tatkraft.
Nirgendwo ist Haßloch
Haßloch im Landkreis Bad Dürkheim hat mehr als 10 000 Einwohner und weniger als 50 000 Einwohner und ist mit seiner ausgeprägten Infrastruktur mit Bildungs- und Einkaufsmöglichkeiten ein Anlaufpunkt auch für die umliegenden Gemeinden. Nach den Kriterien der deutschen Raumordnung gilt es aus diesen Gründen daher als sogenanntes Mittelzentrum. Die Gemeinde hält die Mitte zwischen dörflicher und städtischer Struktur, und ihre Bevölkerungsstruktur kommt dem deutschen Durchschnitt so nahe wie keine andere Kommune. Mittlerer geht es nicht.
Deshalb ist Haßloch, was kaum bekannt ist, ein sogenannter Testmarkt der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Hier werden sechs- und siebenstellige Summen ausgegeben, um ein neues Eis, ein Toilettenpapier oder ein neues Kartoffelchips-Produkt zu testen. Es wird einfach in den Supermärkten unter die Produkte gemischt, und die Haßlocher wissen nicht, dass es dieses Produkt nur bei ihnen zu kaufen gibt. In den etwa 3000 Testhaushalten wird sogar die Fernsehwerbung für die Zuschauer unmerklich manipuliert. Ja, Haßloch hat eigene Werbespots. Die zu den Produkten gehörende Werbung wird also gleich mitgetestet. Die Ergebnisse, die die GfK bei diesen Tests sammelt, stimmen angeblich zu 90 Prozent mit den späteren realen Marktdaten überein. Aha, und warum braucht man so was?
Man braucht so was,
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