Ausgejodelt: Mira Valensky ermittelt in Wien: Ein Mira-Valensky-Krimi
sie kann nicht so gut Deutsch.“
Die eingeschüchterte Serbin tat mir Leid. „Vielleicht sollte sie einen Deutschkurs machen, ich kenne …“
„Das können Sie vergessen. Wann soll sie einen Deutschkurs machen? Sie putzt in der Früh und am Abend. Das sind unsere Schichten. Und am Nachmittag kümmert sie sich um ihre Familie. Um ihren Haushalt und um die Sachen der Brüder ihres Mannes, die auch da sind. Deren Frauen sind nicht in Österreich. Draga ist die einzige Frau hier. Putzen, waschen, alles. Putzen da, putzen dort. Außerdem kann sie, glaube ich, nicht besonders gut lesen.“
„Nicht wahr!“, fuhr Draga auf.
Ob ich ihr ein Trinkgeld geben sollte? Oder ob sie das beleidigen würde?
„Wenn ich irgendetwas tun kann, wenn Sie Hilfe brauchen oder so, dann rufen Sie mich an“, murmelte ich und gab beiden Frauen meine Visitenkarte.
„Ich habe geglaubt, wir sollen Ihnen weiterhelfen“, sagte die Hagere.
„Auf Gegenseitigkeit. Wenn Sie etwas hören, was für mich interessant ist, dann rufen Sie mich bitte an. Ich halte dicht. Sicher.“
„Das habe ich schon oft gehört.“
„Jedenfalls: danke!“, sagte ich und ging. Draga sah mir mit ihren dunklen Augen nach, in der Hand hielt sie meine Visitenkarte.
Auf meinem Redaktionsschreibtisch stand eine Thermoskanne mit schwarzem Kaffee. Das Großraumbüro war deutlich stärker besetzt als an den anderen Abenden der Woche. Je nach Ressort waren die Schlusszeiten unterschiedlich. Lifestyle-Artikel ließen sich im Allgemeinen gut vorbereiten, sie mussten schon am früheren Nachmittag fertig sein. Für die Titelgeschichte allerdings hatte ich bis Mitternacht Zeit. Und ich würde die Zeit brauchen. Meine Recherchen über den Nylonfaden waren nur schleppend vorangegangen. Das Ergebnis: Niemand hatte den Faden wahrgenommen. Da der Faden aber dünn war und die Befestigungskette massiv, war es durchaus möglich, dass er schlicht und einfach übersehen worden war. Die Doppelseite mit den Reaktionen der Stars auf den neuerlichen Todesfall hatte ich schon am Vortag fertig gestellt. Entsetzen, Trauer, viel Heuchelei. Langthaler war ein echter Kotzbrocken gewesen. Susi Sommers Vater und Manager drohte, sein Kind nicht mehr in der Hitparade auftreten zu lassen, „wenn es keine Garantie für unsere Sicherheit gibt“. Es schien mir unwahrscheinlich, dass er das wahr machen würde. Die meisten Befragten versuchten sich einzureden, dass es sich um das nahezu – aber eben nicht gänzlich – unglaubliche Zusammentreffen zweier Unglücksfälle gehandelt habe.
Auch das Interview mit Joe hatte ich bereits abgeliefert. Ich war die Einzige, die ein Interview mit ihm bekommen hatte, von ihm und der Intendantin abgesegnet. Während die anderen Medien weiter spekulieren mussten, erzählte Starmoderator Joe Platt im Magazin die wahre Geschichte über den Streit mit Langthaler. Zwei Fliegen mit einem Schlag: Joe konnte endlich seine Sicht der Dinge präsentieren, und ich hatte eine gute Story. Warum nicht? Ich hätte das Gleiche versucht, hätte ich ihn nicht näher gekannt.
Was jetzt noch geschrieben werden musste, war die Kriminalgeschichte im engeren Sinn. Die Sache mit der Nylonschnur war neu und gut. Ich hatte von der Grafikabteilung eine Skizze des Schließmechanismus des Scheinwerfers mit der daran befestigten Schnur anfertigen lassen. Die Schlagzeile war auch schon klar. „Es war Mord!“ würde in großen roten Lettern auf der Titelseite stehen. Der Hausjurist hatte das abgeklärt, es würde kein Problem geben, solange wir keinen Täter nannten. Und wir hatten die Nylonschnur als Indiz. Die Intendantin war einverstanden, dass ich darüber schrieb. Woher ich die Information hatte, darüber musste ich allerdings schweigen.
Mein Verdacht war, dass ich ziemlich bald nach Erscheinen des Magazins in der Sicherheitsdirektion sitzen würde. Müller würde wissen wollen, wie ich an die Sache mit der Nylonschnur gekommen war. Und ich hatte vor, ihm zu sagen, dass ich schließlich vor der Polizei gemeinsam mit anderen im Raum gewesen sei und mich eben gründlich umgesehen hätte. Natürlich ohne etwas zu berühren. Sollte er mir glauben oder nicht, er konnte nichts Gegenteiliges beweisen.
Es war bereits halb elf. An einem Schreibtisch nach dem anderen ging das Licht aus. Ich hatte die dritte Tasse schwarzen Kaffee hinter mir. Das Schreiben ging alles andere als leicht von der Hand. Ich fuhr mir über die Augen. Kein Wunder, dass mich das Ganze etwas mitgenommen hatte. Das
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