Ausgejodelt: Mira Valensky ermittelt in Wien: Ein Mira-Valensky-Krimi
merklich ruhiger. Regieabwicklung, Aufenthaltsraum und das Zimmer der Maskenbildnerinnen lagen auf der anderen Seite. Hinter irgendeiner dieser Türen musste der Leadsänger der Coolen Kerle in seinem Whirlpool plätschern. Meine Fotografin hatte ihn vor zwei Wochen aufgenommen: nackt bis auf eine knallgrüne Badehose mit der Aufschrift „Cooler Kerl“ und mit einer ebenso grünen Quietschente im Arm.
Ich drückte mich an die Wand. Susi Sommer verschwand auf die Toilette. Da konnte ihr wohl nichts passieren. Sicher war sicher. Ich öffnete vorsichtig die Tür. Im Waschraum war niemand. Ich kniete mich möglichst lautlos auf den Boden, spähte unter den Türen ins Innere der drei Kabinen und kam mir lächerlich vor. Was, wenn jetzt jemand hereinplatzte? In der mittleren Kabine waren ein paar dünne Beine mit goldenen Bergschuhen an den Füßen zu sehen, die anderen beiden Kabinen schienen leer zu sein. Ganz leise verzog ich mich wieder nach draußen und ging einige Meter weiter.
Ein Kameramann kam vorbei und winkte mir, ich winkte unverbindlich zurück. Nur kein Gespräch jetzt.
Eine Stunde bis zur Übertragung. Auf der Bühne konnte ich die kleine Sommer nicht beschützen. Joe. Ich sollte mit ihm reden, dann wäre er wenigstens gewarnt. Es war zwar unwahrscheinlich, dass ausgerechnet auf offener Bühne, vor den Augen von Millionen Zuschauern etwas geschah, aber wer konnte das mit Sicherheit behaupten? Vielleicht plante der Mörder das als Höhepunkt und Finale der Mordserie.
Wahrscheinlich wäre es überhaupt am besten, dem gar nicht mehr so kindlichen Kinderstar die Wahrheit zu sagen. Dass ihr Vater vielleicht einen Kreislaufzusammenbruch gehabt hatte, dass ihr Vater aber vielleicht auch bewusst ausgeschaltet worden war. Sie würde schon die Nerven bewahren. Vielleicht täte ihr, überheblich wie sie war, ein kleiner Schock sogar ganz gut. Und dann würde ich mit ihr zu Chefinspektor Müller gehen. Und dann?
Verdammt, wenn in diesem Gang wenigstens mehr Menschen unterwegs wären. Dann wäre es nicht so schwierig, sie unauffällig im Auge zu behalten. Susi Sommer war noch immer auf der Toilette. Ich stellte mich in eine Fensternische und wählte Joes Nummer. Vielleicht hatte ich Glück. Vielleicht hatte er sein Handy noch nicht abgeschaltet. Ich brauchte Unterstützung, zumindest moralische. Es läutete einmal, zweimal, dreimal. Ich drückte den Apparat so fest ans Ohr, dass es schmerzte. Es wurde abgehoben.
„Joe?“, flüsterte ich.
„Es tut mir Leid, Herr Platt darf jetzt nicht gestört werden. Mit wem spreche ich?“
Es war der Regieassistent. Unverkennbar. Egal.
„Mira Valensky. Wo ist er? Geben Sie ihn mir!“
„Er ist in seinem Zimmer und wollte sich eine Viertelstunde entspannen.“
„Dann rufe ich ihn in seinem …“
„Er hat das Telefon umgeleitet.“
Verdammt, Joes Zimmer lag auf der anderen Seite des Sendesaales, an der Hauptachse, viel zu weit entfernt, um hinüberzulaufen, ihn zu informieren und hier rechtzeitig auf dem Posten zu sein, wenn die kleine Sommer endlich geruhte, aus der Toilette zu kommen. Wahrscheinlich rauchte sie heimlich eine Zigarette. Ich grinste nervös und wollte gerade nachsehen, ob mein Verdacht stimmte, als die Türe aufging. Gleichzeitig hörte ich das entfernte Gemurmel von Stimmen. Ein Mitarbeiter der Öffentlichkeitsabteilung des Senders, gefolgt von mindestens dreißig Menschen, kam in Sicht. „Wir nähern uns jetzt dem Herz des Senders, meine Damen und Herren. Büros werden Sie ja schon anderswo gesehen haben, manche von Ihnen vielleicht zu oft.“ Immer witzig, vielleicht würde er es noch zum Moderator bringen.
Einige kicherten pflichtschuldigst.
„Als Nächstes passieren wir einige Einzelgarderoben unserer Stars. Sie werden verstehen, dass wir sie so kurz vor der Sendung nicht stören können. Aber wie Sie wissen, ist in Ihrem Gewinn auch die Teilnahme an der Party nach der Sendung inkludiert. Da werden Sie ausführlich Gelegenheit haben, mit allen Mitwirkenden zu plaudern.“
Susi Sommer hatte sich wieder in die Toilette zurückgezogen. Ich konnte es ihr nicht verdenken. Mir wurden neugierige Blicke zugeworfen, ein älterer Mann kam mir sogar nahe genug, um meinen Identitätsausweis lesen zu können. Sein Gesicht war maximal zwanzig Zentimeter von meiner Brusttasche entfernt. Für ihn schien ich kein Mensch, sondern bloß ein unter Umständen interessantes Schauobjekt zu sein. Ich drehte mich abrupt zur Seite und lehnte mich gegen eine Tür.
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