Ausgekocht: Ein Mira-Valensky-Krimi
berichte darüber, dass es seltsame Vorfälle nicht nur bei Billy, sondern auch bei Capriati gegeben hat. Offenbar bin ich gut drauf, denn eigentlich ist die Geschichte dünn, aber dem Chefredakteur gefällt sie. Neben der Hauptreportage kündige ich ein kurzes Interview mit Billy Winter und mit Daniel Capriati an, außerdem Statements von Brancheninsidern. Vielleicht, aber das könne ich noch nicht versprechen, erreiche ich sogar Manninger in New York.
»Starköche in Angst!«, schlägt der Chefredakteur als Titel vor. Ich sehe Droch gar nicht an, ich weiß, dass sich seine Mundwinkel spöttisch verziehen. Ich weiß leider aber auch, dass er nichts gegen diesen absurden Vorschlag sagen wird.
»Ich denke darüber nach …«, murmle ich. Es muss mir etwas viel Besseres einfallen, viel weniger peinlich, treffend und trotzdem ausreichend plakativ.
»›Die Anschläge, die Spekulationen im Rosa Flieder‹ – übrigens eine sehr nette Bar, ich kenne sie –, ›wer weiß, was als Nächstes passiert, wer als Nächstes drankommt …?‹ Etwas in dieser Art können Sie als Unterzeile verwenden!«, setzt der Chefredakteur nach.
Ich bedanke mich artig und verziehe mich schnell an meinen Computer. Wider Erwarten habe ich für die Story samt Bildern vier Seiten bekommen, da liegt einiges an Arbeit vor mir. Spätestens um sieben am Abend muss ich alles fertig haben. Deadline. Redaktionsschluss. Mein Adrenalin steigt. Ich mag das. Manchmal.
Der verletzte Daumen ist beim Kochen hinderlicher als beim Schreiben am Computer, stelle ich fest. So gesehen ein Glück, dass ich das perfekte Zehnfingersystem nie gelernt habe. Als Erstes schreibe ich aus dem Gedächtnis ein kurzes Interview mit Daniel Capriati. Bilder von ihm haben wir im Archiv, das habe ich schon abgeklärt. Ich schicke das Gespräch an seine E-Mail-Adresse und rufe zusätzlich im Offen an. Eine Frau hebt ab. Daniel sei gerade am Naschmarkt, müsse aber jeden Moment zurückkommen, ja, sie werde ihm ausrichten, dass der Text angekommen sei.
Ich beschreibe gerade, wie die Melone durch das Fenster fliegt, als er sich bei mir meldet. Alles bestens, keinerlei Einspruch. Er freue sich schon auf Mittwochabend.
Ich lese das Kurzinterview noch einmal durch. Vielleicht habe ich mich zu sehr auf seinen Blickwinkel eingelassen. Wer sagt, dass nicht auch ein hübscher junger Koch krumme Dinge mit Billigsthühnern drehen kann? Warum bin ich viel eher geneigt, einem wie ihm zu glauben als einem fetten Sechzigjährigen? Andererseits: Ich kenne Typen in seinem Alter, denen würde ich, hübsch hin oder her, keineswegs über den Weg trauen. Ich muss mich eben einmal mehr auf meinen Instinkt verlassen. Klar fallen mir nun sofort Fälle ein, in denen mich mein Instinkt grob im Stich gelassen hat. Aber für Zweifel habe ich heute keine Zeit, außerdem kommt ohnehin auch Zuckerbrot mit seinen Theorien zu Wort. Das muss reichen.
Den Abend verbringe ich zum ersten Mal seit Tagen wieder zu Hause. Gismo gefällt es, und ich schlafe vor dem Fernseher ein, während eine deutsch-österreichische Liebeskomödie läuft. Dabei mag ich solche Sachen, auch wenn ich es nicht gerne offen zugebe. Etwas Romantik und Schmalz, Happyends sind eine schöne Sache. Die Realität sieht ohnehin anders aus. Aber der Film zieht sich schrecklich in die Länge. Warum muss die Heldin immer blond sein? Warum sind solche Heldinnen immer bereit, für einen Mann selbst einen Traumjob sausen zu lassen? Oder gibt es nur für diese Frauen ein Happyend? Jedenfalls kommt es zu einer Verwechslung zwischen ihrem Angebeteten, er ist ein erfolgreicher Arzt, und dem Kollegen ihres Angebeteten, er ist auch ein erfolgreicher Arzt und viel schöner, aber lange nicht so nett. Außerdem intrigiert ihre Sekretärin – was haben Sekretärinnen auch sonst noch zu tun? –, und irgendwie mischt auch noch eine aufgedrehte Krankenschwester mit zu großer Oberweite mit. Aber das bekomme ich nur mehr im Halbschlaf mit. In meinen Träumen bin ich auf einer Insel mit sehr viel Tunfisch, Capriati würzt ihn, plötzlich kommt mir vor, als wäre ich der Tunfisch, den er würzt, zuerst ein sehr angenehmes Gefühl, dann aber weiß ich nicht, ob ich nicht zu Tatar verarbeitet werden soll. Billy ruft irgendwo im Hintergrund: »Neuer Tisch!«, und schwenkt ein langes Messer. Alle aus dem Rosa Flieder beugen sich über mich …
Diesmal bin ich Gismo unendlich dankbar, dass sie ihre Krallen in meinen Oberschenkel bohrt. Ich schrecke hoch und sehe
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