Ausgeliebt
bei dieser Erinnerung lächeln. Ich stand auf, wickelte
meine Zigarettenkippe in ein Papiertaschentuch und ging langsam weiter.
Ich hatte von dem bestimmt schönen Fest nicht mehr viel mitbekommen. Richard überlagerte alles. Er war allein gekommen. Wir
blieben zusammen, standen erst mit anderen Partygästen zusammen, dann setzten wir uns in eine Nische. Wir tranken zusammen
eine Flasche Weißwein, rauchten und redeten. Ich weiß nicht mehr, wer von uns anfing. Oder womit. Wir redeten über seinen
Job, über meinen, über Geschwister, über Bücher, über Fernsehen.
Die Luft wurde stickig, die Musik lauter. Wir sahen uns nur kurz an und standen gleichzeitig auf. Die Suche nach einem ruhigeren
Plätzchen blieb erfolglos. Richard beugte sich zu mir, sein Mund streifte mein Ohr, ich bekam Gänsehaut.
Er fragte: »Wollen wir ein paar Schritte gehen? Ich möchte hier mal raus.«
Statt einer Antwort streichelte ich ihm über den Rücken, was mich selbst erschreckte. Er nahm meine Hand in seine und zog
mich zum Ausgang.
Wir liefen die dunklen Straßen entlang und erzählten uns unser Leben. Ich weiß nicht mehr, was uns umtrieb, wir waren kaum
zu bremsen. Seine erste Ehe, die grauenvolle Scheidung, in der es um Geld ging und die auf dem Rücken der Kinder ausgetragen
wurde. Meine Ehe, die sich zur Wohngemeinschaft entwickelt hatte, meine Kinderlosigkeit, meine Sehnsüchte, die von Bernd nicht
erfüllt werden konnten, weil er sie gar nicht kannte. Seine zweite Frau, die der Grund für seine Scheidung gewesen war, die
ihn sich offenbar anders vorgestellt hatte.
»Weißt du, als Beute habe ich ihr genügt. Als sie ihr Ziel erreicht hatte, nahm sie sich den ersten Liebhaber. Ein Jahr nachdem
wir geheiratet hatten.«
»Mein Mann hat seit zwei Jahren keine Lust mehr, mit mir zu schlafen. Vielleicht funktioniert Ehe so.«
|153| Wir saßen zwischendurch in einer Kneipe, schwiegen und wärmten uns auf. Richard nahm meine Hand zwischen die seinen. »Eine
komische Nacht. So etwas ist mir noch nie passiert.«
Ich sah ihn lange an, als ob ich mir sein Gesicht in mein Hirn brennen wollte.
»Mir auch nicht. Und es verwirrt mich.«
Wir verließen die Kneipe und gingen langsam weiter. Ich erkannte den Weg zum Hotel, hier war ich in einem anderen Leben mit
einem Taxi langgefahren. Ich sah mir selbst zu. Richard hatte seine Hand mit meiner verschränkt und sie in meine Manteltasche
geschoben. Ich streichelte mit meinem Daumen über seine warme Haut. Ich fühlte seine Gegenwart mit jeder Pore, ich dachte
an mein vertrautes Leben, an Bernd, an Richards Frau, in meinem Kopf kreiste alles. Richard schwieg.
Dann standen wir vor meinem Hotel. Ich wusste nicht, was ich denken sollte.
Und hörte Charlotte.
»Frag ihn, ob er mit hochkommt. Los.«
Und Edith.
»Das wird nur kompliziert. Du musst dein ganzes Leben ändern. Dieser Mann geht dir zu sehr in die Seele. Das schaffst du nicht.«
Richard küsste mich sanft auf die Lippen. Er sah mich an, wirkte traurig.
»Ich würde jetzt gerne mit dir schlafen. Aber ich würde dich auch verletzen. Ich habe ziemlich viele Baustellen in meinem
Leben und noch nicht einmal angefangen, sie zu bearbeiten. Vielleicht hat diese Nacht etwas ausgelöst, das mir den Mut gibt,
endlich mal was zu ändern. Aber das wird ein langer Weg. Und ich habe dich zu gern, als dass ich dir das zumuten will.«
Ich merkte, dass sich meine Augen mit Tränen füllten. Ich konnte nichts sagen, strich ihm nur über die Wange. Er sah mich
immer noch an.
»Danke, Christine, für die beste Nacht seit langem. Auch weil sie so endet und etwas Besonderes bleibt.«
|154| Mir fiel etwas ein. Ich drehte mich zur Seite und suchte in meiner Handtasche nach der Taxiquittung und einem Stift. Mit zitternden
Händen riss ich den Zettel in der Mitte durch und schrieb meine Handynummer auf die eine Hälfte.
Richard nahm die andere Hälfte, schrieb seine Nummer auf, schob sie mir in die Tasche.
Ich suchte meine Stimme.
»Vielleicht telefonieren wir mal.«
Er lächelte, strich mir mit dem Zeigefinger über meinen Mund. Seine Stimme war rau.
»Unbedingt. Das war zu schön, um sich wieder aus den Augen zu verlieren.«
Ich sah ihm nach, als er zum Taxistand ging. Ich fühlte mich leicht, lebendig und gleichzeitig sehr traurig.
Ich hatte die Alster umrundet und ging auf meine Wohnung zu. Seitdem war so viel passiert. In der Woche nach dieser Berliner
Nacht hatte Bernd einen schweren
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