Ausgeliebt
lächelte, sah erst mich, dann Georg an, dem er die Hand schüttelte. »Es wird jedes Jahr schlimmer auf diesem Fest.
Und jünger.«
Ich schätzte ihn auf vierzig.
Wieder fiel sein Blick auf mich. Ich starrte zurück, blieb sitzen, als wäre ich angenagelt.
Georg übernahm die Vorstellung. »Christine, das ist Richard Jürgensen, unser Justiziar. Richard, das ist meine Schwester Christine,
war bis heute Fernsehfan, kehrt aber wohl reumütig zu ihren Büchern zurück.«
Richards Hand war warm, sein Händedruck fest, seine Augen sehr blau.
»Freut mich sehr.«
Ich glaubte fest, dass er diese Floskel ernst meinte.
Mittlerweile hatte ich die Außenalster zur Hälfte umrundet. |147| Direkt am Ufer stand eine unbesetzte Bank. Ich setzte mich hin, sah zwei Schwänen zu, zündete mir eine Zigarette an.
Meine Gedanken wanderten wieder zurück.
Es passierte nichts Sensationelles auf diesem Sommerfest. Wir blieben in dieser kleinen Bar sitzen. Richard hatte einen Sessel
neben meinen geschoben und blieb an meiner Seite. Im Verlauf des Abends kamen immer mehr Kollegen von Georg und Richard dazu,
die Runde der Saalflüchtlinge wurde größer.
Richard stand mit seinem Charme und Witz im Mittelpunkt. Er drängte sich nie dahin. Er war der Mittelpunkt. Ich saß da, hörte
ihm zu, lachte über seine Geschichten, war verblüfft über seine Schlagfertigkeit, war gerührt von seinen fürsorglichen Umgangsformen.
Und verliebte mich.
Das war alles.
Am nächsten Morgen gingen Dorothea, Georg und ich zusammen frühstücken. Ich hatte keine Lust zu reden, saß in Gedanken immer
noch in dieser kleinen Bar, dachte an das Gefühl, das ich hatte, als mein Knie Richards Bein berührt hatte. Fast aus Versehen.
Georg und Dorothea schoben meine Schweigsamkeit auf zu viel Alkohol und tratschten sich durch die Teilnehmer des Sommerfestes.
Über Richard sagten sie wenig, ich traute mich nicht zu fragen.
Georg erwähnte nur, dass er ein großartiger Mensch wäre, leider mit Hang zu schwierigem Privatleben. »Richtig viel weiß ich
auch nicht, Richard redet nicht viel darüber. Aber er ist in zweiter Ehe verheiratet, hat aus der ersten Ehe zwei Kinder,
die er zu wenig sieht. Und seine jetzige Frau ist anscheinend eine ziemlich komplizierte Person.
Ich kenne sie nicht, sie kommt nie in den Sender oder zu Feiern. Sie hat wohl kein großes Interesse an seinem Kollegenkreis.«
|148| Dorothea kannte eine Anwältin aus seiner Abteilung.
»Susanne hat mir erzählt, dass Richards Frau unsäglich ist, die haben sich irgendwo mal getroffen. Arrogante Zicke.«
Georg sah Dorothea tadelnd an.
»Du kennst sie doch gar nicht, Susanne hat sie mal kurz getroffen, das heißt doch auch nichts. Ihr seid immer so schnell mit
euren Urteilen.«
Dorothea nickte ihm süffisant zu. »Du Gutmensch.«
Georg war nachdenklich.
»Ich glaube ja auch nicht, dass er privat glücklich ist. Armer Kerl. Dabei hätte er es verdient.«
Als ich später im Zug saß, auf dem Weg nach Hause und zu Bernd, dachte ich darüber nach, warum ich weder Georg noch Dorothea
erzählt hatte, welche Gefühle Richard in mir ausgelöst hatte.
Edith wusste die Antwort.
»Weil es Schwachsinn ist. Er ist verheiratet, du bist verheiratet, es war doch nur die Sommerfeststimmung. Du warst nicht
mal mit ihm alleine. Du kennst ihn überhaupt nicht.«
Charlotte war verliebt.
»Er hat den ganzen Abend neben dir gesessen. Und dann diese Blicke. Er hat sich wohl gefühlt neben dir.«
Edith stöhnte auf.
»Weil kein anderer Stuhl frei war. Meine Güte, er wird sich heute schon nicht mehr an dich erinnern. Wach mal auf, du bist
vierunddreißig, keine dreizehn mehr.«
Bernd holte mich vom Bahnhof ab. Er schien sich zu freuen, dass ich wieder da war.
Wir gingen zum Chinesen, bevor wir nach Hause fuhren. Während des Essens erzählte ich Bernd von dem Fest. Als ich den Namen
Richard Jürgensen erwähnte, bekam ich Herzklopfen. Bernd schien etwas gemerkt zu haben, fragte das erste Mal nach.
»Richard Jürgensen. Kenne ich den aus dem Fernsehen?«
|149| »Nein, er ist der Justiziar vom Sender.«
Bernd häufte sich Reis auf den Teller.
»Ach so, ich dachte, er wäre was Besonderes.«
In den nächsten Wochen und Monaten träumte ich ab und zu von Richard, dachte über das Gefühl nach, das ich in seiner Nähe
gehabt hatte.
Nach einiger Zeit verblasste sein Bild, eine Form der Sehnsucht blieb. Ich bemühte mich, diese Gedanken nicht mehr
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