Ausgeliefert: Roman (German Edition)
Speichen eines Rades.
Sie standen stumm da, die Waffen schussbereit. McGrath blickte von einem zum anderen, sah den Kreis von Männern, der ihn umgab. Dann trat einer von ihnen vor. Eine Art Offizier. Seine Hand griff unter McGraths Jacke. Zog mit einem Ruck die .38er aus seinem Halfter. Dann fuhr die Hand des Mannes in McGraths Tasche. Schloss sich um den Speedloader und zog es heraus. Der Mann steckte beides in seine eigene Tasche und lächelte. Holte mit der Faust aus und schlug McGrath ins Gesicht. McGrath taumelte, und da stieß ihm ein Gewehrlauf in den Rücken. Dann hörte er das Geräusch von Reifen auf der Straße. Das Brummen eines Motors. Er blickte
nach links und sah einen olivgrünen Farbklecks in der Sonne. Ein Jeep. Zwei Männer saßen darin. Die Soldaten rückten vor und drängten ihn aus dem Wald hinaus. Sie stießen ihn vor sich her, zwischen den Bäumen durch, zum Seitenstreifen der Straße. Er kniff, von der Sonne geblendet, die Augen zu. Er spürte, wie er aus der Nase blutete. Der Jeep rollte vor und hielt dicht neben ihm. Der Fahrer starrte ihn neugierig an. Auch ein schlanker, bärtiger Mann in Uniform. Auf dem Beifahrersitz saß ein übermäßig korpulenter Mann in Schwarz. Beau Borken. McGrath erkannte ihn von seinem Karteifoto. Er starrte ihn an. Dann beugte Borken sich zu ihm hinüber und grinste.
»Hallo, Mr. McGrath«, sagte er. »Sie sind gut vorangekommen.«
41
Reacher beobachtete das ganze Geschehen. Er war davon hundertfünfzig Meter entfernt im Schutz der Bäume, nordwestlich von dem Ort des Überfalls, oben am Abhang auf der gegenüberliegenden Seite der Straße. Zu seinen Füßen lag ein toter Posten. Der Mann lag auf der Erde, sein Kopf stand im rechten Winkel zu seinem Hals. Reacher hatte den Feldstecher vor den Augen. Beobachtete. Wusste nicht recht, was er eigentlich beobachtete.
Er hatte die wesentlichen Bestandteile des Funkgesprächs mit angehört. Hatte Borkens Seite gehört. Hatte die Antworten geraten. Er hatte gehört, wie die Späher im Süden über ihre Walkie-Talkies Meldung machten. Er war über die Marines auf der Brücke informiert. Und über Webster und Johnson, die neben ihnen über dem Abgrund saßen.
Er hatte sich gefragt, wer wohl sonst noch mit von der Partie sein mochte. Vielleicht zusätzliches Militär, vielleicht auch zusätzliche FBI-Leute. Vom Militär würde mit Sicherheit niemand kommen. Johnson würde ihnen Anweisung erteilt haben, sich zurückzuhalten. Wenn jemand kam, dann FBI. Er vermutete, dass Agenten in erheblicher Zahl bereitstanden. Er vermutete, dass sie über kurz oder lang auch kommen würden. Daraus musste er für sich Nutzen schlagen, brauchte sie als Ablenkung, während er Holly herausholte. Und deshalb war er nach Südosten gegangen, um auf ihr Eintreffen zu warten. Jetzt, eine Stunde später, blickte er auf den untersetzten, kräftig gebauten Mann hinunter, den Borkens Leute in den Jeep drängten. Dunkler Anzug, weißes Hemd, Schuhe, wie man sie in der Stadt trägt. FBI, keine Frage.
Aber nicht das Geiselbefreiungsteam. Dieser Mann hatte keinerlei Ausrüstung bei sich. Das Geiselbefreiungsteam benutzte bei seinen Einsätzen paramilitärisches Gerät. Reacher war mit ihrer Vorgehensweise vertraut. Er hatte einige von ihren Handbüchern gelesen. Hatte etwas über ihre Ausbildung gehört. Er kannte Leute, die in Quantico gewesen waren, wusste, wie ihre Einsätze funktionierten. Ein Höchstmaß an Technik. Sie sahen wie ganz gewöhnliche Soldaten aus, in blauen Uniformen. Sie hatten Fahrzeuge. Dieser Mann, den er da beobachtete, war zu Fuß durch den Wald gekommen. Angezogen, als ob er gerade von einer Konferenz gekommen wäre.
Es war ein Rätsel. Acht Marines. Kein Geiselbefreiungsteam. Eine unbewaffnete Chinook, wie man sie für Bergungseinsätze benutzte. Und dann glaubte Reacher plötzlich das Ganze zu verstehen. Vielleicht war das eine streng geheime Operation. Unauffällig. Unsichtbar. Sie hatten die Spur Hollys von Chicago bis hierher verfolgt, setzten aber aus irgendeinem Grund keine starken Kräfte ein. Sie wollten das allein erledigen. Taktische Gründe, vielleicht auch politische. Vielleicht hatte es mit Holly und dem Weißen Haus zu tun. Vielleicht gab es eine Weisung, die Sache unter strenger Geheimhaltung zu erledigen, hart zuzupacken, sie nur mit einem kleinen Team anzugehen. So geheim, dass die rechte Hand nicht wusste, was die linke tat. Deshalb der unbewaffnete Bergungshubschrauber. Er war blind hereingekommen.
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