Ausgeliefert: Roman (German Edition)
Schultern.
»Übersee hab ich gesehen«, sagte er. »Sechs Kontinente. Ich werde jetzt hier bleiben.«
»Ich habe die Staaten gesehen«, erklärte sie. »Mein Dad ist die ganze Zeit gereist, aber wir sind hier geblieben, abgesehen von seinen beiden Einsätzen in Deutschland.«
Reacher nickte. Dachte an die Zeit, die er in Deutschland verbracht hatte, als Mann und als Junge. Insgesamt viele Jahre.
»Haben Sie sich in Europa mit Fußball angefreundet?«
»Richtig«, nickte Holly. »Das ist dort drüben eine große Sache. Einmal waren wir in der Nähe von München stationiert,
ja? Ich war damals noch ein Kind, elf Jahre vielleicht. Mein Vater bekam Tickets für irgendein großes Spiel in Rotterdam in Holland. Europacup – Bayern München gegen irgendein englisches Team; Aston Villa, haben Sie je von denen gehört?«
Reacher nickte.
»Aus Birmingham, England«, sagte er. »Ich war mal in der Nähe von Oxford stationiert.«
»Ich habe die Deutschen gehasst«, sagte Holly. »So arrogant, so überschwänglich. Die waren so überzeugt, dass sie die Briten fertigmachen würden. Ich wollte es mir gar nicht ansehen. Aber ich musste ja, oder? Das NATO-Protokoll verlangte das von meinem Vater und mir. Wäre ein großer Skandal gewesen, wenn ich mich geweigert hätte. Also sind wir hingegangen. Und die Tommies haben die Deutschen richtig untergebuttert. Wütend waren die. Mir hat das gefallen. Und die Typen von Aston Villa waren so nett. Von jenem Abend an war ich in Fußball verliebt. Und das bin ich immer noch.«
Reacher nickte. Er sah sich auch gerne Fußballspiele an, in gewissem Maße jedenfalls. Aber man musste mit diesem Sport in jungen Jahren vertraut werden und stufenweise. Es wirkte alles sehr locker, dabei war das Spiel voll technischer Raffinesse und voll verstecktem Reiz. Aber er konnte sich gut vorstellen, wie ein junges Mädchen davon vor langer Zeit in Europa angezogen worden war. Ein hektischer Abend bei Flutlicht, in Rotterdam. Zuerst widerstrebend und ablehnend, und dann von dem weißen Ball auf dem grünen Rasen hypnotisiert. Und am Ende in das Spiel verliebt. Aber irgendetwas brachte eine Warnglocke in ihm zum Läuten. Wenn die elfjährige Tochter eines amerikanischen Soldaten sich geweigert hätte, mitzugehen, hätte das zu Peinlichkeiten in der NATO geführt? War es das, was sie gesagt hatte?
»Wer ist Ihr Vater?«, fragte er sie. »Das klingt ja so, als wäre er jemand Wichtiges gewesen.«
Sie zuckte die Schultern. Wollte nicht antworten. Reacher starrte sie an. Eine weitere Warnglocke hatte zu klingeln begonnen.
»Holly, wer zum Teufel ist Ihr Vater?«, fragte er eindringlich.
Ihr Gesicht wurde abweisend, so wie vorher ihre Stimme. Keine Antwort.
»Wer, Holly?«, fragte Reacher erneut.
Sie sah weg. Sprach zu der Blechwand des Lieferwagens gewandt. Ihre Stimme ging in dem Geräusch der Straße fast unter.
»General Johnson«, sagte sie leise. »Zu der Zeit war er der Oberbefehlshaber in Europa. Kennen Sie ihn?«
Reacher starrte sie an. General Johnson. Holly Johnson. Vater und Tochter.
»Ich bin ihm einmal begegnet«, sagte er. »Aber das ist nicht der Punkt, oder?«
Sie funkelte ihn an. Wütend.
»Warum?«, sagte sie. »Was genau ist denn der verdammte Punkt?«
»Das ist der Grund«, sagte er. »Ihr Vater ist der wichtigste Soldat in ganz Amerika, stimmt’s? Deshalb hat man Sie gekidnappt, Holly, Herrgott! Diese Typen wollen gar nicht Holly Johnson, FBI-Agentin. Die ganze FBI-Geschichte ist reiner Zufall. Diese Typen wollen die Tochter von General Johnson.«
Sie blickte ihn so an, als habe er sie gerade ins Gesicht geschlagen.
»Warum«, fragte sie, »warum zum Teufel glaubt eigentlich jeder, dass alles, was je mit mir passiert, nur wegen meines verdammten Vaters passiert?«
16
McGrath brachte Brogan mit und traf sich mit Milosevic am Flughafen Meigs Field in Chicago. Er hatte die vier computergenerierten Fahndungsfotos und das Testbild von Holly Johnson dabei. Für ihn stand außer Zweifel, dass er die volle Unterstützung des Flughafenpersonals bekommen würde. Und die bekam er auch. Drei aufgeputschte FBI-Agenten in Sorge und Angst um einen Kollegen stellen eine schwierige Konstellation dar, auf die man kaum anders als mit totaler Kooperation reagieren kann.
Meigs Field war ein kleiner Privatflughafen direkt am See, an drei Seiten von Wasser umgeben; er gab sich redlich Mühe, im gigantischen Schatten des O’Hare Airport zu Rande zu kommen. Die im Flughafen geführten
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