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Ausgeliehen

Ausgeliehen

Titel: Ausgeliehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Makkai
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eine empörte Reaktion von Loloblog und der Aktivistengruppe, die für ihn die Kundgebung organisiert hatte, aber seine Rückkehr wurde kaum beachtet, wenn man von einigen Kommentaren zu früheren Artikeln absieht. Der Kampf gegen Pastor Bob ging jedoch weiter, und obwohl die neuen Artikel Ian nur beiläufig erwähnten (»angespornt durch den Fall des zehnjährigen Jungen, der am Jugendprogramm der Glad Hearts teilgenommen hatte und Anfang dieses Monats verschwunden war« und so weiter), war es doch klar, dass Ians Flucht die Aktivisten dazu veranlasst hatte, sich ausschließlich auf Pastor Bob zu konzentrieren. Das war ja schon etwas. Sie versuchten weiterhin, ihn vor Gericht zu bringen, was noch immer unmöglich zu sein schien. Ich war ein bisschen enttäuscht, dass sie sich kaum für das Kind selbst interessierten, besonders jetzt, da es zurückgekommen und das Drama zu Ende war. Nicht dass ich mir gewünscht hätte, sie würden Hannibal erstürmen und Transparente vor seinem Haus hochhalten. Es war schlimm genug, dass die klügeren unter seinen Klassenkameraden diese Artikel vermutlich entdeckt hatten und bestimmt überall in der Schule herumerzählten, Ian sei weggelaufen, weil er ein heimlicher Schwuler war. Ich wollte keine zusätzliche Aufmerksamkeit für ihn. Vielleicht wollte ich nur, dass irgendjemand sich ebensolche Sorgen machte wie ich.
    Die Website von Pastor Bob war, wie zu erwarten, unaufrichtig und selbstgefällig.
    Uns wurde seit dem Verschwinden und der gesegneten Rückkehr eines jungen Mannes aus unserer Herde große mediale Aufmerksamkeit geschenkt. Wir begrüßen immer die Chance, das Wort Gottes einer größeren Zuhörerschaft zu verkünden, besonders jenen Menschen gegenüber, die eine andere Meinung haben und das Licht Jesu noch nicht gesehen haben. Gott fordert uns heraus, gerade jetzt, aber wir wissen, dass die Rückkehr unseres kostbaren Schafes ein Zeichen von oben ist, und so wie der verlorene Sohn zu seinem Vater mit Verstand, Demut und Würde zurückkehrte, so ist unser junger Freund zu seinem himmlischen Vater und in unsere Gemeinschaft mit einem fröhlichen Herzen zurückgekehrt.«
    Ich verdrehte die Augen und zeigte dem Bildschirm den Mittelfinger, als würde mich jemand beobachten und sich darum kümmern, was ich dachte. Aber niemand beobachtete mich und niemand kümmerte sich einen Deut um meine Gedanken.
    Endlich brachte ich den Mut auf, mich durch alle Internetseiten zu klicken, durch alle falschen Hinweise, auch zu einem Link mit einem gewissen Ian Drake, der Klempner in Cape Cod war, und zu allen möglichen Schulklassenlinks: Ian Drake, Colgate, Jahrgang 1985. Ian Drake, Berkeley, Jahrgang 2000. Ich fand einen Ian Drake, der im Jahr 1888 eine Elizabeth Westbridge geheiratet hatte. In Amarillo, Texas, war ein Ian Drake vorbestraft. Den ganzen Tag, während mein Vater sich in leeren griechischen Restaurants mit seinen Leuten traf und meine Mutter Besorgungen erledigte, lag ich auf der Couch und blätterte in Illustrierten, unfähig, ein langes Buch zu lesen, und wenn ich müde wurde, machte ich mir ein Brot mit Erdnussbutter und setzte mich vor den Computer meines Vaters.
    Ich wartete wirklich darauf, dass jemand kam und mich abholte. Jeden Tag, der verging, nahm ich als Zeichen, dass Ian mich nicht verraten hatte, dass er allen noch immer die Geschichte mit dem Metropolitan-Museum erzählte. Ich zwang mich dazu, zehn Tage lang zu warten, dann beschloss ich, selbst in der Bibliothek anzurufen.
    Das Erste, was Rocky sagte, als er meine Stimme hörte, war: »Loraine möchte wissen, ob sie etwas unternehmen soll, um Ersatz für dich zu besorgen.«
    »Vermutlich schon«, sagte ich. Ich hatte keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken, aber das war auch nicht nötig. Ich konnte mir nicht vorstellen, dorthin zurückzukehren. Ich sagte: »Ich muss bei meinen Eltern bleiben. Mein Vater hatte einen Unfall, und ich bin hier bei ihm. Sehr viele Medikamente.«
    » Viele, viele Medikamente. Von Robert McCloskey.« Es war noch nicht einmal witzig, und er wusste das. »Ian Drake ist zurückgekommen.«
    »Wirklich?«, fragte ich ehrlich. »Ich meine, ich habe es im Internet gelesen, aber ich war mir nicht … Er ist also wirklich wieder da?«
    »Er ist vor ein paar Wochen einfach zurückgekommen.« Er erwähnte nichts davon, dass Ian in der Bibliothek aufgetaucht war, und ich fragte mich, ob Ian seine Meinung geändert hatte und einfach nach Hause gegangen war und an der Tür geklingelt hatte.

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