Ausgelöscht
Clevenger zurück zu der Überlegung, dass Grace Baxter möglicherweise so wütend auf Snow gewesen war, weil er sie verlassen hatte, dass sie jede Spur von ihm auslöschen wollte – einschließlich des verdorbenen Blutes, das durch ihren Leib floss. »Schon gut«, sagte er. »Ich habe verstanden. Sonst noch etwas?«
Coady schüttelte den Kopf. »Wollen Sie Reese selbst befragen, oder wollen Sie hinter dem Einwegspiegel zuschauen? Die Entscheidung liegt bei Ihnen.«
»Ich denke, wir bekommen mehr aus ihm heraus, wenn wir ihn nervös machen«, erwiderte Clevenger. »Entweder würde er mir wirklich am liebsten den Hals umdrehen, oder er möchte es nur so aussehen lassen, als ob. Vielleicht fällt es ihm dadurch ja schwerer, sich nicht zu verplappern.«
»Vielleicht sollten Sie sich das mit dem Polizeischutz, den ich Ihnen angeboten habe, doch noch mal überlegen. Ich meine, erst Reese und jetzt die Kerle vom FBI …«
»Wir reden noch mal drüber.«
»Wann?«, wollte Coady wissen.
»Später.«
»Das ist kein Witz, Frank.«
»Habe ich gelacht?«
Coady schüttelte den Kopf. »Kyle Snow ist nach Hause gegangen. Seine Mutter hat eine Kaution hinterlegt. Einhunderttausend Riesen. Das sind Peanuts für diese Leute.«
»Was halten Sie von ihm?«
»Er hat seinen alten Herrn gehasst, so viel steht fest.«
»Ich habe meinen auch gehasst. Aber ich habe ihn nicht erschossen.«
»Warum nicht?«
»Gute Frage«, erwiderte Clevenger. Er hatte sich mehr als einmal in der Fantasie ausgemalt, wie er seinen Vater mit dem Gürtel strangulierte, mit dem er so gerne Prügel austeilte. »Er hatte keine Pistole.«
Coady schmunzelte matt. »Manchmal ist Gelegenheit die Mutter der Erfindung«, sagte er. »Ganz ehrlich, wenn man ein Kind so behandelt, wie Snow seinen Sohn behandelt hat, dann sollte man besser keine Schusswaffen im Haus haben.«
»Ich bin noch nicht bereit, Kyle von irgendeiner Liste zu streichen«, erklärte Clevenger.
»Was ist mit Lindsey?«
»Sie hatte Zugang zu der Waffe, genau wie ihr Bruder. Sie wusste über die Affäre Bescheid, genau wie er. Und ihre ganze Welt war wie auf den Kopf gestellt, weil Snow sich veränderte.«
»Also bleibt sie auch auf der Liste«, sagte Coady. »Und die Ehefrau?«
»Dito. Snow war der Grundpfeiler dieser Familie. Ohne ihn wäre alles zusammengebrochen. Und sie alle wussten das – zumindest unterbewusst.«
»Wie ich schon sagte, bei einem Fall wie diesem eine Liste von Verdächtigen aufzustellen ist ein Kinderspiel. Der schwierige Teil ist, wieder jemanden von der Liste zu streichen.«
»Stimmt«, sagte Clevenger. »Aber ich bin trotzdem froh, dass wir Reese hier haben. Er war der Einzige auf der Liste, der blutbeschmiert war, als ich ihm das erste Mal begegnet bin.«
Clevenger öffnete die Tür des Vernehmungszimmers und trat ein.
Reese, in einem grauen Nadelstreifenanzug, weißen Hemd mit Umschlagmanschetten und einer glänzenden burgunderfarbenen Krawatte, stand von dem langen Holztisch auf, an dem er mit Anwalt Jack LeGrand gesessen hatte. »Was, zum Teufel, machen Sie denn hier?«, fragte er Clevenger.
»Ich arbeite für die Polizei, haben Sie das schon vergessen?«, sagte Clevenger. »Ich habe ein paar Fragen an Sie.«
»
Sie
haben Fragen an
mich
?«
»Setzen Sie sich«, sagte Clevenger.
Reese blieb stehen.
LeGrand legte die Hand auf Reeses Arm und zog ihn sanft auf seinen Stuhl. Er war um die fünfzig, hatte gewelltes, rostfarbenes Haar, volle Lippen, buschige Augenbrauen und dunkelbraune, beinahe schwarze Augen. Er sah aus wie ein gedankenvoller Wolf in einem Zweitausend-Dollar-Armani-Anzug. »Schön, Sie zu sehen, Frank«, sagte er in seiner kehligen Stimme, die in einem Gerichtssaal augenblicklich donnernd werden konnte.
Clevenger nickte ihm zu und trat an den Tisch. Er zog einen Stuhl hervor und setzte sich. »Hat man Ihnen Ihre Rechte verlesen?«, fragte er Reese.
»Die sollten Ihnen Ihre verlesen«, entgegnete Reese tonlos.
»Mein Klient wurde nicht verhaftet«, erklärte LeGrand. »Er ist freiwillig hier.«
»Dann lassen Sie uns gleich zur Sache kommen«, sagte Clevenger. Er sah zu Reese. »Wann haben Sie herausgefunden, dass Ihre Frau eine Affäre mit John Snow hatte?«
Reese erwiderte seinen Blick ungerührt.
»Mein Klient wird diese Frage nicht beantworten«, sagte LeGrand. »Ich bin sicher, dass Sie das verstehen.«
»Da bin ich mir überhaupt nicht so sicher«, entgegnete Clevenger, obgleich er genau wusste, warum LeGrand seinem Klienten
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