Ausgeloescht
vor einem, die man vielleicht überlebte.
Die Geschichte des Militärs ist die Geschichte des Umgangs mit der Angst. Wir drillen Soldaten, Befehle zu befolgen, egal was geschieht. Desertion ist in der Regel ein Schwerverbrechen, für das man vor ein Erschießungskommando gestellt wird. Was aber zeigt uns das alles?«
Er beugte sich leicht vor, um sein Argument zu unterstreichen. »Offensichtlich, dass Angst eine natürliche Reaktion ist. In den Jahren, in denen ich Männer befehligt habe, waren es immer die Furchtlosen, die mir am meisten Ärger gemacht haben. Sie hatten nämlich meistens eine Schraube locker.«
Das Publikum lachte. Man hörte Erleichterung in diesem Lachen, denn die allermeisten Zuhörer gehörten nicht zur Kategorie der Furchtlosen, die Wallace soeben zu Halbverrückten erklärt hatte.
»Angst ist wahrscheinlich einer der ältesten biologischen Befehle«, fuhr Wallace fort. »Sie hat sich entwickelt, um einen Organismus am Leben zu erhalten. Angst befiehlt die Flucht vor dem stärkeren Gegner, weil Macht in der Regel gleich Recht ist. In der Tierwelt ist der größere Gegner im Allgemeinen auch der siegreiche Gegner.
Die Dinge haben sich geändert. Wir können denken, und weil wir denken können, sind wir in der Lage, uns Vorteile zu schaffen und die Größe oder überlegene Bewaffnung des Gegners zumindest auszugleichen. Auf diesem Niveau dient die Angst nach wie vor einem Zweck, aber nur, wenn wir lernen, sie für unsere eigenen Zwecke zu nutzen.« Er lächelte. »Kampf oder Flucht, jeder kennt diese Entscheidung. Die Angst ist entstanden, um uns zum Fliehen zu bewegen, aber sie brachte eine Absicherung mit: Wenn eine Flucht unmöglich war, hat die Angst uns das Adrenalin geliefert, das wir benötigt haben, um es dem Gegner möglichst schwer zu machen. Daher hat Angst durchaus ihre guten Seiten. Sie sagt Ihnen, dass Sie in Gefahr sind und sich darauf einstellen müssen und dass Sie sich entweder zurückziehen oder kämpfen oder sterben.
Deshalb besteht der erste Schritt, seine Angst zu bezwingen, darin, sie anzunehmen. Die Angst sagt Ihnen etwas. Hören Sie ihr zu. Wehren Sie sich nicht dagegen. Das ist der erste Fehler - und zwar der Fehler, der Sie umbringt. Sie sind so sehr davon abgelenkt, Ihre Angst beiseitezuschieben, dass Sie den Kerl mit der Pistole erst bemerken, wenn er vor Ihnen steht. >Vor Angst zu erstarren<, wie es zutreffend heißt, ist in einer Kampfsituation so ziemlich das Schlimmste, was einem passieren kann.
Sie müssen die Angst auf der Ebene des Instinkts ausschalten. Sie ist nur eine Anzeige, so wie ein Tachometer oder Ihr Blutdruck. Wenden Sie Ihren Intellekt auf diese Anzeige an. Beobachten Sie sie. Was verrät sie Ihnen? Ist Flucht die richtige Antwort? Kann sein. Wie sieht es mit Kampf aus? Vielleicht. Beobachten Sie die Anzeige, analysieren Sie sie. Wenn Sie das tun, wird Angst zu einem Werkzeug, nicht mehr und nicht weniger, und Sie verlieren keinerlei Bewegungsmoment. Sie sollten die Angst nicht mehr als Defizit betrachten oder als etwas Fremdes. Angst ist wahrscheinlich der älteste Bestandteil unseres Wesens.«
Ich schließe die Augen, atme zitternd durch und versuche dann, meine Angst zu betrachten.
Wieso habe ich Angst?
Punkt eins ist eine Antwort aus dem Bauch: Wegen dem, was Sands mir angetan hat. Ich bin schon einmal in der Gewalt eines Irren gewesen, und es hätte mich beinahe vernichtet. Nun geschieht es wieder, hier und jetzt.
Der bloße Gedanke erfüllt mich mit Entsetzen, doch er gehört nicht zur Sache, noch ist er von Nutzen. Dali ist kein Sands. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass er ein Vergewaltiger wäre. Seine Haltung gegenüber Heather Hollister erinnert eher an die eines Zoowärters gegenüber einem Tier. Mag sein, dass er mich schlägt, aber er wird sich wahrscheinlich nicht an mir vergehen.
Mein Puls beruhigt sich ein wenig.
Punkt zwei: Heather Hollister selbst. Sie war eine starke Frau, doch acht Jahre allein in der Dunkelheit haben ihr den Verstand geraubt. Sie war eine tüchtige, selbstsichere Polizistin; jetzt pult sie Löcher in die eigene Haut und plappert wie ein Kind.
Punkt drei: Was, wenn er beschließt, mich zu lobotomieren wie die arme Dana Hollister? Was, wenn er die Dunkelheit für immer anhalten lässt? Oder wenn er mich tötet?
Ich beherzige den Rat von Barnaby Wallace und nehme diese Dinge in mich auf. Sie sind echt. Sie ergeben Sinn. Diese Dinge können wirklich geschehen, und deshalb sind sie Probleme, die
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