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Ausgeloescht

Ausgeloescht

Titel: Ausgeloescht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cody Mcfadyen
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Pritsche an der Wand befestigt ist.
    »Wie ein Gefängnisbett«, murmele ich.
    Wie treffend. Schließlich bin ich in einer Zelle, oder?
    Ich richte mich auf und drehe mich um, sodass das Bett hinter mir ist.
    »Die Toilette müsste rechts von mir sein, in der Mitte der Wand.«
    Ich gehe in die Richtung, in der ich die Mitte des Raumes vermute; dann drehe ich mich nach rechts und gehe vorwärts. Die Hände halte ich vor mir ausgestreckt. Augenblicke später berühren sie kühlen Beton. Ich beuge mich vor und suche.
    Keine Toilette.
    Ich bleibe vornübergebeugt und gehe seitlich, wie eine Krabbe, nach links. Einen Augenblick später ertaste ich die Toilette, die aus Stahl ist, nicht aus Porzellan. Erneut wie in einer Zelle. Porzellan ist zerbrechlich, und aus den Scherben kann man Messer fertigen.
    »Es soll sich ja niemand die Pulsadern aufschneiden, nicht wahr?«
    Mir wird bewusst, dass die Dunkelheit mein räumliches Empfinden beinahe vollständig ausgeschaltet hat. Ich war sicher, dass ich in die Mitte der Zelle gegangen war, doch ich habe mich um fast einen Meter geirrt. Mein Respekt vor den Blinden steigt mit jeder Minute.
    Ich beschließe, meine Zelle abzuschreiten. Ich folge der Stirnwand, bis ich die Seitenwand erreiche, an der die Pritsche angeschraubt ist. Ich wende ihr den Rücken zu und gehe langsam vorwärts. Dabei zähle ich. Mit jedem Schritt versuche ich nur einen Fuß weit voranzukommen. Als meine Zehen an die gegenüberliegende Wand stoßen, bin ich bei zwölf.
    »Drei Meter sechzig. Okay.«
    Ich gehe die Entfernung zwischen Pritsche und Toilette ab. Keine zwei Meter. »Zwölf zu fünf. Kapiert. Bett, Toilette. Decke, Kissen.«
    Ich bewege mich zurück zum Bett und setze mich darauf. Starre ins Nichts. Die Schwärze ist in ihrer Vollkommenheit bedrückend. Als ich die Ohren spitze, höre ich das leise
Pfft-pfft-pfft,
mit dem Luft in den Raum gepumpt wird. Sonst gibt es nichts. Ich lege mich wieder aufs Bett und starre in die Schwärze unter der Decke.
    »Himmel«, flüstere ich, und es ist beinahe ein Schluchzer.
    Ich habe mich über Heather Hollister erhaben gefühlt. Das ist eine natürliche Reaktion. Wir sehen jemanden, der kränker oder schwächer ist als wir, und schon nehmen wir auf unbewusster Ebene an, dass irgendein grundlegender Unterschied zwischen uns besteht. Sei es Karma oder innere Stärke, wir müssen irgendwie überlegen sein, sonst wären wir ja gleich.
    Jetzt sitze ich in der Dunkelheit und Stille mit dem Pfft-pfft-pfft und begreife. Acht Jahre hier drin würden jeden zerstören, einfach jeden. Dass Heather Hollister noch Wörter zu Sätzen zusammenfügen konnte, war ein Zeichen gewaltiger Stärke.
    »Es tut mir leid, Heather«, sage ich laut.
    Ich habe kein Problem damit, mit mir selbst zu reden. Ich habe es hin und wieder getan, seit ich mein früheres Leben verloren habe. Es war mein erster Waffenstillstand mit dem Wahnsinn. Bisher hat es gut funktioniert, mit sich selbst zu reden.
    »Wir werden ausgiebige Gespräche führen, Alexa, wenn ich lange genug hier bin.«
    Das Entsetzen durchzuckt mich wie ein Elektroschock, so stark, dass mir schwindelig wird. Ich habe daran gedacht, mich mit einem toten Kind zu unterhalten. Was ist mit den Lebenden? Bonnie darf nicht noch eine Mutter verlieren. Ich senke meine gefesselten Hände und berühre meinen Bauch. Was wird aus diesem Kind?
    Die Erinnerung an die Kamera im ersten Raum kommt mir in den Sinn, und ich reiße die Hände vom Unterleib weg.
    Was, wenn er in diesem Raum eine Infrarotkamera laufen lässt?
    Ich beschließe, meine Schwangerschaft zu verbergen, solange es geht.
    Wir müssen stumm miteinander reden, Baby. Ich kann nicht riskieren, dass er lauscht.
    Die Stille und die Schwärze wirken betäubend. Ich hatte nicht bemerkt, wie viel von meinem Selbstgefühl auf der visuellen Wahrnehmung meines Körpers beruht. Man geht und sieht aus den Augenwinkeln die eigenen Arme schwingen. Man geht an einem Fenster vorbei und sieht auf der Scheibe sein schattenhaftes Spiegelbild. Man
existiert.
In der Finsternis gibt es nur Gedanken, Berührung, Geruch. Das erscheint mir nicht genug.
    »Dann sorge dafür, dass es genug ist.« Ich spreche den Satz laut aus, aber der Beton saugt ihn auf, konserviert die Stille.
    Ich beschließe, mich darauf zu konzentrieren, wieso ich hier bin. Warum hat er mich entführt? Ich bin nicht besonders überrascht, dass er weiß, wer ich bin, aber warum entführt er mich gerade jetzt? Welchem Zweck soll das Ganze

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