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Ausgeloescht

Ausgeloescht

Titel: Ausgeloescht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cody Mcfadyen
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Die Seele?« Sie schüttelt den Kopf. »Nur ein Traum. Buddhismus, Christentum, sie alle wiegen einen in den Schlaf.« Sie beugt sich vor, erregt und erbittert. »Der Krieg aber weckt einen auf!«
    Ich starre sie sprachlos an. Ich kann nicht anders. Sie blickt weg, betrachtet etwas, das für mich unsichtbar bleibt.
    »Es gefiel ihm dort, wissen Sie. In Korea. Er hat mir einmal eine Geschichte erzählt, wie er einen Mann in einem Reisfeld erwürgt hat, während die Sonne aufging und Regen fiel. >Dieser Mann starb mit Wasser in den Augen und Reis in den Ohren und hörte Donner.< Das hat mein Vater gesagt.« Sie schweigt kurz. »Im Krieg werden alle Lügen heruntergerissen. Alle Illusionen von Schönheit und Hässlichkeit, von Gut und Böse. Im Krieg gilt es Fleisch gegen Fleisch bis zum Tod. Die nackte Wahrheit.« Sie klingt beinahe wehmütig.
    Mir dreht sich der Magen um. »Was ist aus Ihrem Vater geworden?«, frage ich.
    »Er ist an Krebs gestorben.«
    »Waren Sie traurig, als er starb?«
    »Ich habe es bedauert. Er war mein Lehrer. Hätte er länger gelebt, hätte ich mehr von ihm lernen können.«
    Nichts zeigt sich bei diesen Worten in ihren Augen. Kein Anzeichen von Trauer, keine Sehnsucht nach dem Mann, der sie aufgezogen hat. Ich versuche, ihn mir vorzustellen, aber er ist gesichtslos, ein brennender Mann, der sein Kind brandmarkt, wie er selbst gebrandmarkt worden ist, und der sie ganz tief im Innern verletzt, wo es sich niemals zeigt.
    Die gleiche Geschichte habe ich schon zu oft gehört. Ungeheuer, die von Ungeheuern erschaffen wurden und dann selbst Ungeheuer erzeugen. Eine Kette, die sich in beiden Richtungen in die Finsternis erstreckt.
    Manchmal reißt ein Kettenglied, und das Licht kann andauern. Nur zu oft geschieht das nicht. Ich denke an Hawaii, an die Dunkelheit zwischen den Sternen -daran, dass es stets mehr Dunkelheit geben wird als Lichtpunkte.
    »Was haben Sie mit den entführten Frauen getan, nachdem Sie die Zahlungen von ihren Ehemännern erhalten hatten?«
    »Ich habe sie getötet, was denn sonst.«
    »Und die Leichen?«
    »Sie wurden zerstückelt, die Stücke verbrannt. Die Knochen wurden zu Pulver zermahlen und verstreut.«
    Ich stöhne innerlich auf. Obwohl es nicht völlig unerwartet kommt, hatte ich noch die leise Hoffnung, wenigstens einige von ihnen mit ihren Familien wiedervereinen zu können.
    »Wie viele Opfer hatten Sie insgesamt?«
    Sie muss nicht nachdenken, um mir die Zahl zu nennen. »Siebenundvierzig einschließlich der Frauen, die Sie gefunden hatten, als Sie meine anderen Anlagen stürmten.«
    Siebenundvierzig.
    Siebenundvierzig Mal Heather Hollister. Avery und Dylan. Die ganze Welt in einem Wassertropfen.
    Mir kommt ein Gedanke, als ich über die Zahl nachdenke.
    »Wenn Sie siebenundvierzig hatten, wieso war ich Nummer fünfunddreißig?«
    »Verschleierung. Ich habe nicht in Folge durchnummeriert. Wenn jemand entkommen wäre, hätte sie keine genaue Zahl angeben können.«
    »Sehr umsichtig.«
    Sie tut das Lob mit einem Schulterzucken ab. »Man kann nicht alle Faktoren kontrollieren, die für das Überleben nötig sind. Aber nicht jeden Einzelnen zu kontrollieren, den man kontrollieren
kann,
ist Unfähigkeit.«
    »Ich verstehe.« Ich blicke in meine Notizen. »Die nächsten Fragen haben mit ein paar offensichtlichen Lücken in Ihrem sogenannten Pensionsplan zu tun. Einige Dinge passen zumindest oberflächlich nicht zusammen.«
    »Nur zu«, sagt sie ganz offen.
    »Erstens: Wie wollten Sie sicherstellen, dass wir Ihr Gebäude in Los Angeles finden? Ich begreife die Faktoren, die Sie ins Spiel brachten - Heather, die SMS, meine Entführung -, aber nichts davon konnte garantieren, dass es gelingt. Ich nehme an, Sie hatten weitere Ansatzpunkte.«
    Sie nickt. »Geplant war, weiterhin Hinweise fallen zu lassen, die Sie zu mir führen - oder genauer, zu Eric -, und zwar auf glaubhafte Weise.«
    »Glaubhaft inwiefern?«
    »Indem ich den Anschein eines Phänomens erweckte, das Sie Dekompensation nennen.«
    Dekompensation bedeutet wörtlich Unausgeglichenheit und bezeichnet in der Medizin einen Zustand, in dem der Körper einen Organschaden nicht mehr ausgleichen kann, sodass die Symptome deutlich zutage treten. Auf dem Gebiet des Profilings von Serientätern benutzt man diesen Begriff, um ein bestimmtes Entwicklungsmuster zu beschreiben. Viele Serienmörder - auch extrem umsichtige Täter - fallen irgendwann den ihrem Verhalten zugrunde liegenden Wahnsinn anheim. Sie können ihn

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