Ausgeloescht
mir Dylan und rannte hinüber.« Sie schüttelt in liebevollem Unglauben den Kopf. »Avery war aufs Nachbargrundstück gelaufen. Der Hund dort war bissig. Die Nachbarin versuchte mit aller Kraft, das Tier zurückzuhalten, während Avery ihr die Blumen mit den Wurzeln aus den Beeten riss, ohne etwas zu ahnen. Ich rannte zu ihm. Als er mich sah, grinste er breit, wie nur ein kleines Kind es kann. Er hielt die Blumen hoch und sagte >Mama!<« Sie schweigt. »Ich nehme an, er hatte die Blumen gesehen, als wir abfuhren, und die ganze Zeit geplant, sie für mich zu pflücken, sobald wir wieder zu Hause waren.«
Sie sinkt auf dem Stuhl nach vorn und beginnt leise zu schluchzen. Ich nehme sie in die Arme, und wir sind zusammen allein.
Heathers Trauer, oder zumindest diese Inkarnation, vergeht. Sie zieht sich von mir zurück, und ich kehre zu meinem Stuhl zurück, während sie den Blick wieder auf das Fenster und die Sonne richtet.
Ich habe so etwas schon einmal gesehen,
geht es mir durch den Kopf, und das Dejä-vu-Erlebnis lässt mich schaudern. Wieder eine befreite Gefangene, die ihre Augen nicht mehr vom Licht abwenden kann.
»Wo ist Dylan?«, fragt sie mich mit leiser Stimme, die noch immer von Trauer erfüllt ist.
»Er ist hier. Aber Sie müssen mir jetzt zuhören, Heather. Es ist wichtig. Wenn Sie Dylan wollen, müssen Sie sich anhören, was ich zu sagen habe.«
Sie runzelt die Stirn, und ihr Blick wird stechend. »Was soll das heißen - >wenn ich Dylan
wühl«
Hier ist er, der Scheidepunkt, an dem ich feststellen werde, ob für Heather das Licht endgültig erloschen ist oder ob sie den Weg zurück zum Ufer findet. Und wenn es je einen Antrieb dafür gab, dann ist es das hier.
»Dylan wird vom Jugendamt betreut, Heather. Man macht sich Sorgen um Ihren Geisteszustand. Man ist sich nicht sicher, ob Sie sich um den Jungen kümmern können.«
Die Falten auf ihrer Stirn vertiefen sich; dann verschwinden sie. »Ich verstehe«, sagt Heather. »Sie haben Angst, ich könnte zu verrückt sein, um noch eine gute Mutter abzugeben, nicht wahr?«
Warum den Schlag mildern?
»Daraufläuft es hinaus, ja.«
Zorn huscht über ihr Gesicht. »Aber ich bin seine Mutter!« Ihre Stimme hat einen Beiklang von Wahnsinn.
Ich beuge mich vor und versuche, mit meinen Worten, meiner Leidenschaftlichkeit zu ihr vorzudringen. »Ich möchte, dass Sie den Jungen bekommen. Es ist mir wichtig, dass Sie ihn bekommen. Ich glaube, dass Dylan zu Ihnen gehört. Und ich glaube, ich kann durchsetzen, dass er zu Ihnen kommt. Aber wenn Sie es nicht schaffen - und man wird sehr darauf achten -, wird man Ihnen Dylan wegnehmen, zumindest für einige Zeit, und ich werde nichts daran ändern können.«
Sie blickt zur Sonne, sieht mich an, schließt und öffnet die Fäuste. »Und Sie?«, fragt sie stockend. »Was ist mit mir?«
Sie packt überraschend meine Hände. »Glauben Sie, dass ich mit ihm fertig werde?«
Ich schaue ihr in die Augen. Und dann sage ich ihr das Schlimmste von allem. »Sein Dad hat seinen Bruder getötet. Ich glaube nicht, dass irgendjemand sonst mit ihm fertig werden könnte ... nicht danach.«
Heather öffnet den Mund, schließt ihn wieder. »Douglas hat meinen Avery getötet?«
»Ja.«
Ihre Wut verwandelt sich in etwas Härteres, Ausdauernderes. Mutterzorn. »Dreckschwein«, zischt sie. Sie lässt meine Hände los, steht auf und geht kopfschüttelnd im Zimmer auf und ab. »Himmel!« Ich sehe, dass verschiedene Empfindungen sie durchlaufen: der Wunsch zu töten, das Bedürfnis nach Rache, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und schließlich Sehnsucht nach dem, was sie verloren hat.
Endlich bleibt sie stehen und wendet sich mir zu, und ich kann das Licht sehen, nach dem ich gesucht habe. Es ist matt, aber es ist da.
»Helfen Sie mir«, fleht Heather. »Bitte, bitte, helfen Sie mir.« »Ja«, sage ich. »Natürlich helfe ich Ihnen.«
Jetzt, wo ich weiß, dass ihre Hoffnung über ihre Verzweiflung triumphieren wird, erhebt sich etwas in mir, und ich blicke selber zum Fenster und suche nach der Sonne. Meine vierfingrige Hand findet meinen Bauch und wiegt ihn und das entstehende Leben darin. Trotz aller Schrecken ist das Leben manchmal voller Wunder, vor solch schöner Ironie. Ich bin froh, dass ich das Leben dem Tod vorgezogen habe, ganz gleich, was das heißt, wohin es mich auch führt und wen immer ich verliere. Das Leben ist monströs, aber es ist auch schön.
»Gehen wir zu Ihrem Sohn«, schlage ich Heather vor.
Sie lächelt,
Weitere Kostenlose Bücher