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Ausgeloescht

Ausgeloescht

Titel: Ausgeloescht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cody Mcfadyen
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Stück Granit in sich finden und daraufbeißen. Sollen die Zähne ruhig weh tun.« Ich finde das Stück Granit und beiße fest zu.
    »Weißt du noch, wie deine Mutter aussah, als der Mann sie geschnitten hat?«, frage ich Bonnie und bin bestürzt darüber, welche Distanz ich geschafft habe. Meine Stimme hat nichts Tröstendes mehr. Ich klinge wie ein Gefängniswärter.
    Bonnies Augen weiten sich. Sie gibt keine Antwort.
    »Ich habe dich was gefragt. Ehe deine Mutter starb und du an sie gefesselt wurdest, wie sah sie da aus? Weißt du das noch?«
    »Ja«, flüstert Bonnie. Sie starrt mich an, kann gar nicht mehr wegsehen, wie ein Kaninchen vor der Schlange.
    »Dann sag es mir. Wie sah sie aus?«
    Sie braucht eine ganze Weile. »Sie sah aus wie ...« Sie schluckt. »Eines habe ich dir nie erzählt, Smoky. Etwas, das der Mann zu Mom gesagt hat, als er anfing, sie mit dem Messer zu zerschneiden. Er hat zu ihr gesagt, dass sie wählen kann.«
    »Wählen?«
    »Ja. Sie könne ihm jederzeit sagen, dass er mich nehmen soll, dann würde er sofort aufhören, ihr wehzutun.«
    In meiner Seele tut sich ein Abgrund auf.
    »Mom hat furchtbar geschrien. Er hatte sie geknebelt, aber die Schmerzen waren zu schlimm. Sie zerrte an den Fesseln, dass ihre Gelenke geblutet haben, ganz schrecklich geblutet. Der Mann tanzte zu der Musik, die er laufen ließ, und hat gelacht.« Wieder schluckt sie. Ihr Blick klebt an mir. »Und einmal, da habe ich es in Moms Augen gesehen. Es war nur eine Sekunde, aber ich hab's gesehen ...«
    »Was hast du gesehen?«, frage ich, die Zähne auf dem kalten Granit.
    »Sie wollte mich dem Mann überlassen. Nur eine Sekunde lang. Sie wollte mich ihm geben, und sie hat sich dafür gehasst.« Der Schmerz in ihrer Stimme bricht mir beinahe das Herz. Bonnie schüttelt den Kopf, sieht das Erlebte vor sich und kann es kaum glauben, weiß aber, dass es so gewesen ist. »Mit diesem Hass auf sich selbst ist Mom gestorben.« Bonnie schlingt die Arme um sich, wiegt sich vor und zurück, und die Tränen strömen heftiger als zuvor.
    Nein, nein, nein, will ich ihr zurufen. Sie ist nicht in Selbsthass gestorben. Sie starb voller Liebe zu dir.
    Doch ich widerstehe dem Verlangen. Wir sind noch nicht durch. Ich weiß nicht, was »durch« heißt, aber ich werde es wissen, wenn es so weit ist.
    »Du musst etwas Wichtiges begreifen, Bonnie«, sage ich, und wieder staune ich über meinen kühlen Tonfall. »Hör gut zu. Du musst den Unterschied begreifen zwischen dem, was du getan hast, und dem, was du bist. Du bist nicht böse. Du bist nicht wie der Mann, der deiner Mutter die schrecklichen Dinge angetan hat.« Ich beuge mich nach vorn, fixiere sie mit festem Blick. »Aber als du die hilflose Katze getötet hast, als du sie gejagt, gefangen, in unseren Garten gebracht und ihr eine Kugel in den Kopf geschossen hast - in dem Moment warst du nicht anders als der Mann, der deine Mom gequält hat. Du sagst, du willst zum Gedenken an sie in meine Fußstapfen treten?« Ich lächle höhnisch und verabscheue mich dafür, denn Bonnie zuckt heftig zusammen. Ich rücke mit dem Gesicht dicht an sie heran, so nahe, dass sie die Wärme meines Atems spüren kann. »Sie hat die Qualen ertragen, um dich zu retten, Bonnie. Als du die Katze getötet hast, hast du deiner Mutter ins Gesicht gespuckt.«
    Ihre Augen werden größer, als ich es je für möglich gehalten hätte, und ihr Gesicht wird weiß wie Papier. Nach ein paar Sekunden entsetzter Stille stößt sie so heftig den Atem aus, als hätte sie einen Schlag in den Magen bekommen. Dann stöhnt sie dumpf. Es ist ein kläglicher Laut, ein Laut des Jammers.
    Jetzt sind wir »durch«.
    Bonnie kriecht auf ihr Bett. Die Fäuste auf den Mund gepresst, schüttelt sie den Kopf, unaufhörlich, entsetzt über sich selbst, über ihre Tat und über die Wahrheit.
    Ich setze mich zu ihr. Sie wehrt mich ab, doch ich packe sie, drücke sie an mich und lasse sie nicht mehr los, egal was sie versucht und wie sehr sie nach mir schlägt.
    Irgendwann gibt sie den Widerstand auf und klammert sich an mich. Sie schluchzt und schluchzt. Ich weine jetzt ebenfalls. Schließlich beuge ich mich zu ihr und sage ihr, was ich bis jetzt zurückgehalten habe:
    »Als deine Mom starb«, flüstere ich ihr ins Haar, »hat sie sich nicht gehasst. Sie hat dich geliebt. Lass dir das nicht von diesem Mann wegnehmen.«
    Irgendwann schaue ich auf und sehe Tommy in der Tür stehen. Ich frage mich, wie viel er mitbekommen hat. Er betrachtet uns

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