Ausgeloescht
jede Sekunde, doch selbst als wir uns gegeneinander treiben lassen, weiß ich, dass dieser Frieden flüchtig ist. Ich schreie auf, als Tommy mich zum Höhepunkt bringt, und in der Stille danach sagt die Insel mir auf Wiedersehen. Wir gehören nicht hierher an diesen Ort, an dem es so viel Licht und Heiterkeit gibt. Ich sehe andere Kinder vor mir, tote und lebende, die auf meine Rückkehr warten.
Kapitel 3
Ich wollte, ich hätte jetzt meine Waffe in der Hand, meine Neun-Millimeter-Glock, die ich so selbstverständlich trage wie eine Handtasche oder ein Paar gut sitzende Schuhe.
Ich bin eine ausgezeichnete Schützin, eine Fähigkeit, die ich anscheinend einem genetischen Erbe aus ferner Vergangenheit verdankte, denn meine Mutter und mein Vater können Schusswaffen nicht ausstehen. Einer von Dads Freunden hat mein Interesse für Waffen geweckt, als ich ungefähr acht Jahre alt war. Er war ein Waffennarr, und seitdem bin ich es auch. Eine Pistole in der Hand zu halten kam mir irgendwie richtig vor. Sie gehörte da hin.
Ich bin ein Naturtalent. Zwar habe ich mich nie mit jemandem gemessen, nehme aber an, dass ich eine der besten Schützinnen beim FBI bin. Diese Fähigkeit ist mir schon oft nützlich gewesen, und ich wünschte, jetzt könnte ich sie einsetzen.
»Dieses Kleid ist einfach zu warm!«, schimpfe ich.
Es ist Ende Februar in Los Angeles, und Callies Hochzeit findet am Strand statt. Die Luft ist frisch, doch aus irgendeinem Grund weht nicht der leichteste Windhauch, und die Sonne, die bei normaler Kleidung angenehm wäre, verwandelt mein Trauzeuginnenkleid in eine Sauna.
»Ich bin schweißgebadet«, flüstert Marilyn mir zu und kichert.
Marilyn ist Callies Tochter. Die beiden haben sich erst vor ein paar Jahren kennen gelernt, denn Callie war mit fünfzehn schwanger geworden und gab Marilyn auf Drängen ihrer Eltern zur Adoption frei, was sie stets bedauert hat - bis irgendein Dreckskerl, hinter dem wir her waren, diese Information ausgrub und Callie damit zu erpressen versuchte. Das Ergebnis war eine erzwungene Vereinigung von Mutter und Tochter, die sich glücklicherweise in eine echte Beziehung verwandelt hat.
»Pssst, Smoky«, raunt Bonnie mir zu.
Ich schaue auf Bonnie, die in ihrem sonnengelben Brautjungfernkleid neben mir steht. Sie hat sich die Haare hochgesteckt und ein gelbes Band darum gebunden. Sie ist sehr hübsch, und ich lächle sie an.
Bonnie ist dreizehn und sieht aus wie ihre Mutter: blondes Haar, makellose weiße Zähne und blaue Augen. Was Bonnie von ihrer Mutter unterscheidet, schlummert hinter diesen Augen. Bonnie ist erst dreizehn, doch ihre Augen sind die eines viel älteren Menschen, der zu viel gesehen hat.
Ich weiß, was diese Augen gesehen haben.
Bonnies Mutter, Annie King, war meine beste Schulfreundin. Wir hatten uns kennengelernt, als wir beide fünfzehn waren. Es scheint mir eine Ewigkeit her zu sein. Damals hatte ich noch keine Narben im Gesicht und auf der Seele.
Annie wurde von einem Verrückten verstümmelt und getötet, weil er auf diese Weise erreichen wollte, dass
ich
ihn jage, niemand sonst. Er zwang Bonnie, das langsame Sterben ihrer eigenen Mutter mit anzusehen, und fesselte sie dann an ihre Leiche. Es dauerte drei Tage, bis Bonnie gefunden wurde.
Ich erfüllte Annies Mörder seinen Wunsch: Ich habe ihn gejagt und getötet. Diese Jagd auf den Mörder meiner Freundin - und mein brennender Wunsch, sie zu rächen - war einer meiner beiden Rettungsanker. Der andere war Bonnie, denn Annie hatte sie mir anvertraut, wie sich herausstellte. Unsere Beziehung wäre normalerweise zum Scheitern verurteilt gewesen, denn ich war ein körperlicher und seelischer Krüppel, und Bonnie hatten die Schrecken, die sie durchstehen musste, die Sprache geraubt, sodass sie sich in eine Welt zurückzog, von der ich gar nicht erst wissen möchte, wie sie aussah. Doch Bonnie ist stark, und so fand sie mit der Zeit wieder zu sich.
Wir halfen uns gegenseitig. Zwei Jahre nach ihrem grauenvollen Erlebnis fand Bonnie die Sprache wieder, und ich bekam meinen Lebenswillen zurück.
Inzwischen sind wir wie Mutter und Tochter. Sie ist jetzt mein Kind - in jeder Hinsicht, auf die es ankommt.
Bonnie lächelt mich an. Der wachsame Ausdruck ihrer Augen verflüchtigt sich wie Nebel in der Sonne.
»Ist dir nicht heiß?«, frage ich.
Sie zuckt die Achseln. »Geht so. Ist ja nicht für lange.«
Ich blicke zu dem Mann hinüber, den Callie heiraten wird, Agent Samuel Brady, Chef des SWAT-Teams
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