Ausgerechnet den?
sie.
»Willst du mir sagen, dass es seitdem keinen Mann mehr in deinem Leben gab? Ist es das, was du meinst?
Phoebe, er muss doch schon vor sechs oder sieben Jahren gestorben sein.«
Sie würde es tun müssen. Es gab keine Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft, solange sie nicht den Mut aufbrachte, ihm die Wahrheit zu sagen und sich ihm so zu zeigen, wie sie war, mit all ihren Narben und Wunden. Aber so viel preisgeben zu müssen jagte ihr eine Todesangst ein.
Er versuchte nicht, sie festzuhalten, als sie sich erhob und zum Bett ging. Sie setzte sich auf die Kante, das Gesicht ihm zugewandt, die Knie zusammengepresst, die Hände in die Hemdzipfel in ihrem Schoß verkrallt.
»Arturo war schwul, Dan. Er war nicht mein Liebhaber. Wenn überhaupt, dann war er wie ein Vater. Ja, er war ein Vater für mich.«
Sie hatte ihn noch nie so verwirrt gesehen. »Dann versteh ich überhaupt nichts mehr.«
Sich einem anderen Menschen so weit auszuliefern war das Schwerste, was sie je in ihrem Leben hatte tun müssen, aber sie liebte ihn und konnte nicht länger im Schatten leben. All ihren Mut zusammennehmend erzählte sie ihm stockend, in gebrochenen Sätzen, von der Vergewaltigung. Die Hände im Schoß verkrallt mühte sie sich, ihm alles zu erklären. Erst als sie die helle Empörung auf seinem Gesicht sah, merkte sie, dass sie sich unbewusst auf Unglauben gefasst gemacht hatte. Nun flössen ihr die Worte leichter über die Lippen. Als sie ihm von jenen schrecklichen ersten Monaten in Paris erzählte, als sie mit all den Männern schlief, da sah sie keinerlei Verurteilung in seinen Augen, nur tiefes Verständnis, das die harten Linien in seinem Gesicht glättete. Da hätte sie sich ihm am liebsten in die Arme geworfen, aber sie blieb, wo sie war, und erzählte ihm auch den Rest. Wie erstarrt, wie erfroren sie sich seitdem innerlich gefühlt hatte, wie unmöglich es für sie gewesen war, mit einem Mann intim zu werden.
Als sie fertig war, schwieg sie. Ihre Muskeln waren zum Zerreißen gespannt, während sie darauf wartete, dass er die Tatsache verdaute, dass er der Mann war, den sie gewählt hatte, um eine solange Zeit der Enthaltsamkeit zu beenden. Sie hatte keine Ahnung, was er für sie empfand, dennoch hatte sie ihn, ohne es auszusprechen, wissen lassen, wie viel er ihr bedeutete. Nie hatte sie mehr riskiert.
Stocksteif saß sie auf der Bettkante und sah, wie er sich aus seinem Sessel erhob. Sie sah ihn auf sich zukommen, ahnte seine Wut an den hervortretenden Halsmuskeln, wusste jedoch gleichzeitig, dass diese Wut nicht auf sie gerichtet war, denn die Augen, mit denen er sie ansah, waren voll tiefen Mitgefühls.
Er nahm sie zärtlich in seine Arme. Mit vor Emotion erstickter Stimme sagte er: »Es tut mir so Leid, Schätzchen. So unendlich Leid.«
Er neigte den Kopf und fing an, sie zu küssen, ein sanfter, heilender Kuss. In diesem Moment wollte sie ihm sagen, dass sie ihn liebte, aber er vertiefte den Kuss und begann sie zu streicheln. Schon bald konnte sie nicht mehr denken, konnte sich nur ihm und den tiefen, unendlich süßen Bewegungen seines Körpers überlassen, mit denen er die Schatten der Vergangenheit vertrieb.
Es war fast drei Uhr morgens, als er sie endlich nach Hause fuhr. Sie hatte ihr Domina Kleid wieder angezogen, darüber sein Sweatshirt und ihren Mantel. Nach den Gefühlsstürmen dieses Abends empfand sie nun tiefen Frieden, und auch er wirkte merklich entspannt.
»Du wirst morgen ganz schön erledigt sein«, sagte sie und kuschelte sich an seinen Arm.
»Ich brauch nicht viel Schlaf. Nicht mal als Kind. Dauernd hab ich mich aus dem Bett geschlichen und bin raus in die Nacht.«
»Du Schlingel.«
»Na ja, ich war ein ziemlich sturer kleiner Kerl. Meine Mutter hat mir ein paar mit dem Kochlöffel übergezogen, wenn sie mich erwischt hat, aber sie konnte mich verprügeln, wie sie wollte, ich hab’s trotzdem weiter getan.«
Sein Ton war milde, aber sie hob dennoch den Kopf.
»Deine Mutter hat dich verprügelt?«
Ein kleiner Muskel an seinem Unterkiefer zuckte. »Meine Eltern waren nicht gerade Anhänger moderner Erziehungsmethoden. Sie waren einfache Leute vom Land und noch Teenager, als sie heiraten mussten. Ich war für sie eine Pest.«
»Das ist ja schrecklich.«
»Guck nicht so traurig. Als ich älter war, wurd’s besser. Mein Vater war total stolz auf mich, als ich mit dem Footballspielen anfing.«
Heftiger Zorn auf einen Vater, der seine Liebe von einer Anzeigentafel abhängig gemacht
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