Ausgerechnet Souffle'!
eine Stunde hellwach auf den Sandmann gewartet habe, gebe ich es auf. Der Gute wird sich diese Nacht nicht mehr blicken lassen. Ob ich mir eine Mousse mache? Eigentlich bin ich pappsatt von diesem wunderbaren Essen. Und somit gleich beim Thema.
Glasklar, dass es nicht wie gehabt mit dem kleinen Mann weitergeht. Ich kann ihm wohl kaum, so als sei nichts geschehen, morgen einen Teller in den Hausgang stellen und seine Kritik einstecken. Mir wird angst und bange, wenn ich auch nur daran denke, ihm gegenüberzutreten. Ich kann ihn nicht ausstehen. Und wäre er Bocuse persönlich. Gleichzeitig hadere ich mit einer grotesken Sympathie für diesen verschrobenen, schlecht riechenden Menschen.
Es hilft nichts. Das mit dem Schlaf wird noch eine ganze Weile dauern. Da kann ich ebenso gut jetzt meine liegen gebliebenen E-Mails erledigen und mich mit der Buchhaltung duellieren. Während mein Rechner hochfährt, sehe ich im linken Monitorrand einen gelben Button aufblinken, der mich auffordert, eine bestimmte Kontaktseite anzuklicken. Obwohl ich meine Mitgliedschaft bei dieser Plattform längst gekündigt habe, lassen die nicht locker. Zugegebenermaßen verweilt mein Zeigefinger einen winzigen, klitzekleinen Augenblick auf der Entertaste. Dann klicke ich den Link weg. Mein animierter Plüschhase hoppelt über den Bildschirm, solange im Hintergrund das Finanzprogramm lädt. Plötzlich fühle ich mich einsam.
In meiner computerunterstützten Datingphase lief ich bezüglich abwechslungsreicher Lebensgestaltung zur Höchstform auf. Jeden dritten Abend ging ich Essen. Nie in dasselbe Restaurant und selten ein zweites Mal mit demselben Mann. Nie erlebte ich so enorm amüsante Geschichten. Nie lag ich so oft daneben, was mein Gegenüber anbetraf. Dies beweist folgendes Erlebnis in einer kleinen Trattoria in Lindenthal:
Es muss Blind Date sieben oder acht gewesen sein. Vielleicht auch Nummer neun. Den Namen meines Begleiters habe ich entweder (wie so viele) ebenfalls vergessen oder nie gewusst, aber das tut nichts zur Sache. Denn ich erinnere mich haargenau an seine Gesichtszüge, die im Laufe des Abends zum einen nach und nach verschwammen (was an dem herrlichen Aperol-Aperitif lag, dem ich ausgiebig zusprach), und zum anderen immer mehr entgleisten (keine Ahnung wieso). Ich amüsierte mich blendend und verstand nicht ansatzweise, weshalb mein Rendezvous nach fünfundvierzig Anstandsminuten die Rechnung verlangte und sich entschuldigte. Wohlgemerkt zahlte er lediglich seine Zeche in Höhe von elf Euro fünfzig für einen Salat mit Cocktailtomaten und Pinienkernen sowie ein Mineralwasser.
„Langweiler“, dachte ich schulterzuckend und machte, nachdem ich ein wunderbar zartes Vitello Tonnato zur Vorspeise genossen hatte, dem gegrillten Lammkotelett mit Rosmarinkartöffelchen den Garaus. Dazu trank ich einen Merlot und sinnierte nochmals über meinen abhandengekommenen Begleiter nach. Und plötzlich durchzuckte mich die Erkenntnis. Sein Internetprofil tauchte vor meinem Geiste auf. War er nicht der Typ, der sich im Chat stundenlang darüber echauffiert hatte, wie Menschen so morbide sein könnten, Alkohol zu legalisieren, niedliche Tierkinder zu essen und Delfine zu töten? Ein bisschen kleinlaut betrachtete ich meinen leer gegessenen Teller und die inzwischen mit Luft gefüllte Weinflasche. Ohne nachzudenken, hatte ich das in seinen Augen größte Faux-Pas mit meiner Menüwahl begangen. Kalbfleisch, Thunfisch, Lamm. Ich war eine Kindsmörderin und außerdem ein Flipperkiller. Ich winkte panisch dem Kellner. Darauf brauchte ich erst einmal einen Grappa.
Nur wenige Wochen später endete meine Internetaktivität. Der Nieten überdrüssig, verlor ich die Lust an der blinden Suche nach dem Hauptgewinn. Also zog ich wie in alten Zeiten mit Britta los, um an echten Kneipentheken vis-à-vis zu flirten.
Vielleicht sollte ich genau das tun. Mich mit meiner Freundin an eine Theke hängen und dort meinen Marktwert testen. Die Welt besteht schließlich nicht bloß aus Knalltüten oder Frank Sander. Der natürlich auch eine Null ist. Mit einem Knopfdruck öffnet sich das Email Programm. Noch während ich meine liebe, vernachlässigte Britta inbrünstig anflehe, mich für einen Abend aus meinem Alltag zu erlösen, fälle ich eine durchaus heikle Entscheidung in Bezug auf den kleinen Mann im Hauseingang von Gegenüber.
15. Weichgekocht
Schon den ganzen Tag warte ich auf ihn. Allmählich sorge ich mich. Wo steckt der fürchterliche
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