Ausgerockt - [Roman]
etwas und schluchzt und sie fragt: »Weinst du?«
Er antwortet nicht. Sie streicht mit dem Daumen unter seinem Auge entlang und fragt: »Warum?«
»Nur so«, flüstert er.
Sie trafen sich fast täglich. Manchmal verbrachten sie ganze Wochenenden im Bett, bestellten Pizza, lachten und wunderten sich über das Fernsehprogramm. Sie sahen sich gute Filme an, und versehentlich auch schlechte, tranken Wein und gingen ab und zu an der Weser oder im Kneipenviertel am Steintor spazieren. Linus hatte keinerlei Zweifel: Diese Wochen waren die schönsten seines Lebens.
Die Wände seiner Wohnung hielten die übrige Welt von ihnen fern, als befänden sie sich unter einer Taucherglocke. Nichts konnte sie stören, nichts konnte sie alltäglich machen. Das besänftigende Gefühl, dass sie das Richtige taten, wich nicht eine Sekunde von ihnen.
Manchmal fürchtete Linus, Jana würde das Zusammensein mit ihm bloß so sehr genießen, weil es eine Abwechslung von dem war, was sie eigentlich tief in ihrem Inneren verkörperte. Als wisse sie längst, dass es nicht ewig so bleiben würde. Als glaube sie, man müsse mal so etwas erlebt haben, dieses schöne laue Leben mit einem Mann wie ihm, in etwa so, wie man mal Bungee gesprungen oder in Paris gewesen sein sollte.
Anfang August traten sie das erste Mal gemeinsam hinaus in die Welt.
Linus war beunruhigt. Er konnte nicht einschätzen, was außerhalb ihrer Zweisamkeit mit ihnen geschehen würde.
Oft war er verunsichert, wenn sie auf Menschen aus Janas Umfeld trafen. Gelegentlich fühlte es sich falsch an, wenn sie mit diesen Leuten redete und dabei seine Hand hielt. Als wäre es nicht möglich, beides zu haben. Ihn und alles andere.
Andererseits fand er es aufregend, Neues an ihr zu entdecken.
Sie machten Ausflüge nach Hamburg, Wien, Barcelona und Berlin, gingen auf Partys in der Schanze, im Steintorviertel und in Friedrichshain. Sie besuchten so viele kulturelle Veranstaltungen, wie Linus in seinem ganzen Leben nicht gesehen hatte.
Er zeigte ihr ein paar Lokale in Bremen und Hamburg, in denen man erstklassige britische Bands sehen konnte. Bands, die später oft erfolgreich wurden. Und Jana nahm ihn mit zu Vernissagen, in Galerien und zu Lesungen.
Sie setzte immer genau so viel Energie in ihm frei, dass er dabei sein wollte, sich überwinden konnte, alles mitzumachen. Und es machte ihm Spaß, auch wenn er das nicht immer zeigen konnte. Denn stets begleitete ihn tiefe Unsicherheit.
Er hielt es zunächst für unnötig, ihr seine Freunde vorzustellen. Das verunsicherte wiederum sie, denn eigentlich war sie dafür durchaus aufgeschlossen.
Einzig Brunssen hatte sie einmal kennengelernt. Sie waren zu viert in einem arabischen Restaurant gewesen. Sie verstanden sich auf Anhieb, auch Ina schien gut mit Jana auszukommen.
Nach dem Hauptgang, den sie mit zwei Flaschen Wein runtergespült hatten, saßen Brunssen und Linus entspannt in einem Separée und rauchten Wasserpfeife, während Ina und Jana mit den Kellnern flirteten und nebenbei die Dessertkarte studierten.
Brunssen sagte mit eindringlicher Stimme: »Diese Frau, mein Freund, ist genau das, was du brauchst. Sieh zu, dass sie dir nicht abhaut.«
Linus zog an der Wasserpfeife. Er fand es anmaßend, dass Brunssen diese Einschätzung gleich bei seiner ersten Begegnung mit Jana äußerte. Vor allem aber störte Linus, dass das Lob für seine Freundin ihn selbst mit demselben Satz herabsetzte. Zu bemerken, dass er jemanden brauche, implizierte schließlich, dass er es alleine nicht schaffte. Du brauchst jemanden, der dir unter die Arme greift, sollte es heißen. Das kränkte Linus, obwohl ihm klar war, dass Brunssen es nur gut meinte. Immer meinte Brunssen es nur gut.
Linus hatte aber nur genickt und gelächelt. Zum einen hatte er die gute Stimmung nicht verderben wollen, indem er sie beide an ihren Streit auf Wangerooge erinnerte, zum anderen wusste Linus tief in seinem Inneren, dass Brunssen recht hatte.
Abgesehen von Brunssen und Ina hatte Jana noch mit niemanden aus Linus’ Leben Bekanntschaft gemacht. Auch nicht mit Holger.
Holgers Textnachrichten waren immer befremdlicher geworden. Linus wusste längst nicht mehr, was er darauf noch antworten sollte. Eine der letzten Nachrichten, die er gespeichert hatte, lautete:
Die, die es nicht schaffen, leisten den gleichen wichtigen beitrag wie die anderen. Man muss nur die gesamtheit sehen. Alles entfacht wirkung. Alles ist wichtig. Alles.
Eine andere Nachricht aus dem angelegten
Weitere Kostenlose Bücher