Ausgerockt - [Roman]
kurvten durch Bremen, Richtung Süden, ließen die einzigen infrage kommenden Restaurants hinter sich, und je weiter sie fuhren, desto schwieriger wurde das Raten des Ziels. Linus ließ es resigniert bleiben. Auf seine Mutmaßungen regierte Jana ja doch bloß mit überheblichem Grinsen und Schulterzucken.
Er stellte die Lüftung an und hielt sein Gesicht davor, um wacher zu werden. Jana nahm das belustigt zur Kenntnis, doch sie schwieg weiterhin.
Als sie ihren Mazda auf direktem Weg in die Airport-Stadt lenkte, auf eine Straße, die nur dieses eine Ziel kannte, bildete sich in Linus’ Kopf ein ausgewachsenes Fragezeichen. Er saß da, seine Augen waren mittlerweile ganz ausgetrocknet vom Luftstrom, und er nahm verunsichert und schweigend zur Kenntnis, wie sie in das Flughafen-Parkhaus für Langzeitparker einfuhren.
Und Jana schwieg.
Etwa drei Stunden später, gegen halb neun mitteleuropäischer Zeit, saß Linus in einem kleinen Café.
Vor ihm stand eine Tasse frisch gebrühter Cortado leche y leche. Er sah hinaus auf die Straße.
Er war beeindruckt von Janas Gespür. Sie wusste, wie sie mit ihm umzugehen hatte.
Sie war einfach mit ihm zum Flughafen gefahren und losgeflogen. Sie hatte ihm nicht verraten, was sie mit ihm vorhatte.
Vom Flughafen aus waren sie mit dem Taxi nach Charlottenburg gefahren, ein paar Meter gelaufen und an einer Kreuzung hatte Jana ihre Hände in sein Jacket gekrallt, ihn eindringlich angesehen und gesagt, sie würde jetzt geschäftlich jemanden treffen.
Sie hatte ihm einen Brief gezeigt, aus dem der Termin hervorging. Keine weiteren Fragen. Es werde ungefähr eine Stunde dauern, hatte sie gesagt, er könne ja solange irgendwo einen Kaffee trinken.
Sie hatte ohne zögern schräg über die Kreuzung gezeigt, wo sich im Erdgeschoss eines Altbaus ein kleines Café befand. »Warte da auf mich«, hatte sie gesagt.
Da es zu regnen begann, hatte Linus das Café ohne Umwege betreten und hatte den Cortado leche y leche – eine spanische Kaffeespezialität – bestellt.
In wie viele Cafés oder Bars in Berlin hätte er gehen können, um auf Jana zu warten! Sie hatte ihn ausgerechnet in dieses hier geschickt.
Ein gediegenes kleines Café. Der dunkle Holzdielenboden knarzte unter den Füßen, die alten Schirmlampen warfen ein warmes Licht an die Wände und jeder der unterschiedlich gepolsterten Sitzplätze befand sich in unmittelbarer Nähe zu einem dunklen Bücherregal.
Man konnte, während man einen Kaffee, Tee oder Wein schlürfte, mit der Hand in eines der rustikalen Regale greifen und sich ein Buch herausziehen, ohne sich vom Sitz erheben zu müssen.
Und es konnte nicht passieren, dass man einen Platz am Regal für klassische deutsche Literatur hatte, unpassenderweise aber ein Fan britischer Popliteratur war, denn die Bücher standen ungeordnet, ja geradezu chaotisch in den Regalen.
Linus zog wahllos ein Buch heraus, ein leichtes gebundenes Exemplar des Romans Arnes Nachlaß von Siegfried Lenz, legte es neben sein Kaffeeglas auf den Tisch und lehnte sich zurück. Nachdenklich betrachtete er die Kombination. Getränk und Buch. Buch und Getränk.
Jana hatte ihn in den letzten Wochen nicht ein einziges Mal wieder zu seiner Zukunft befragt, geschweige denn dieses Café erwähnt.
Sie hatte gewusst, dass man es nicht erklären konnte, sondern selbst sehen musste. Deshalb hatte sie ihn hierher gebracht.
Und er sah es. Dieser Laden hatte mehr zu bieten als Getränke. Er entsprach dem Bedürfnis der Menschen, sich zu beschäftigen, während sie ihr Getränk einnahmen. Wer alleine war, konnte in Büchern stöbern, und wenn er was Spannendes zu lesen fand, bestellte er gleich noch einen zweiten Kaffee oder kam abends auf eine Karaffe Wein zurück, um weiterzulesen oder das Buch gleich zu kaufen.
Und wer hier nicht alleine saß, konnte trotzdem immer etwas in die Hand nehmen, worüber sich diskutieren ließ.
Neben Lenz und Fontane standen Hornby und McEwan und fast alle Buchreihen waren bedeckt mit mehr oder weniger aktuellen Ausgaben einschlägiger Nachrichten- oder Kulturmagazine. Am Eingang steckten Tageszeitungen in einem Ständer.
Eine unerschöpfliche Lesequelle für einsame Herzen, denen zu Hause die Decke auf den Kopf fiel, die es bisher aber nicht heimelig genug fanden, in einem Café zu sitzen. Hier konnten sie sich wohlfühlen.
Linus las nichts, während er auf Jana wartete. Im Übrigen fühlte es sich nicht an, als würde er warten. Er genoss einfach die Atmosphäre, schob
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