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Ausgerockt - [Roman]

Ausgerockt - [Roman]

Titel: Ausgerockt - [Roman] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: FUEGO
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erkennen konnte und zu Vermutungen gezwungen war, zum Träumen. Es wies dorthin, wo es immer besser war als hier.
    Er stieg wieder in den Wagen, startete den Motor und fuhr zurück auf die Autobahn. So sehr er auch versucht hatte, sich zu überlisten und sein Herz verschlossen zu halten, die Verpackung platzte auf, etwa dreißig Kilometer vor den Elbbrücken. Er klammerte sich an das Lenkrad. Er hätte nicht anhalten dürfen. Dieses Rauschen.
    Einen Moment lang dachte er, wie sinnlos dieser Benzinverbrauch doch war. Ein geradezu absurder Gedanke in seiner Lage. Nein, nein. Es war nicht sinnlos. Er war hier. Er war nicht zu Hause, nicht in seiner Wohnung.
    Verdammt. Es war die sinnvollste Autofahrt, die er je gemacht hatte. Sie erlaubte ihm, laut zu fluchen und zu reden und zu schimpfen. Niemand konnte ihn hören.
    Und er schimpfte, schimpfte mit sich und mit Jana, und er fluchte, schrie Tiraden über die Plattenindustrie, ohne zu begreifen, welcher gedankliche Pfad ihn vom einen zum anderen geführt hatte.
    Aber er war dort, sah sich vor dem Schreibtisch eines imaginären A&R Managers stehen, sah sich auch auf der Waldbühne stehen, zu Beginn eines großen Benefiz-Konzertes, mit einer Gitarre um den Hals, sah sich auch am Rednerpult des deutschen Bundestages in Berlin, sah unter den Gästen auf den Rängen die verdutzten Vertreter einer TV- und Musikindustrie und er brüllte ihnen entgegen, wie einfältig und arrogant sie seien, erhob Anklage, fragte sie, wie man so schäbig sein konnte, ganze Völker zu betrügen und mit Dreck vollzustopfen.
    Er schlug auf das Lenkrad, er schrie gegen die Windschutzscheibe. Er fühlte sich an Holger erinnert, denn er sagte Dinge, die Holger bereits gesagt hatte. Dinge, die man in einem Moment noch für wahr hält, im nächsten Moment lächerlich findet.
    Die Wahrheit ist irgendwo dazwischen und Wut macht blind für gute Argumente.
    Aber diese ohnmächtige Wut auf eine Welt, die seine Kunst niemals zu schätzen gewusst hatte, die ihm nie die Aufmerksamkeit gegeben hatte, die er sich gewünscht hatte, war lächerlich. Zu oft hatte er diese Wut empfunden, zu unsinnig war sie. Und sie verschaffte ihm ohnehin keine Erleichterung mehr.
    Aber er schimpfte und schrie weiter, musste es tun, und merkte nicht, dass er sich selbst anschrie. Tränen rannen seine Wangen herab und er hämmerte wie benommen auf das Lenkrad, bis es zu vibrieren begann.
    »Du bist so arm!«, schrie er.
    Es war so lächerlich. Er war lächerlich. Jana war fort. Ja, er war lächerlich. Andere hatten es geschafft, gute Musiker hatten es geschafft. Er war lächerlich. Er war nicht erwachsen. Scheiß Luftballon. War so lange vor seiner Nase rumgeflogen, hatte ihn in eine dämliche Starre gebracht.
    Eine Nadel hätte er nehmen sollen, schon als er zwölf war. Hannah hätte eine Nadel nehmen sollen, als er noch ein Kind war. Sie hätte jenen hohlen Traum sofort zerstechen sollen. Eine lange spitze Nadel, und dann das Scheißding zerstören. Dieser Scheißballon.
    »Scheißeeeeee!«, schrie er und seine Spucke schoss auf die Frontscheibe, ein feiner nasser Staub, dem der Scheibenwischer nichts anhaben konnte. Linus spürte, unterbewusst, dass er selbst der Ballon war.
    Er war der Ballon, und in dieser Nacht würde er landen, auf seiner Basis, würde aussteigen, sich umsehen und erkennen, wie öde alles aussah. Seine Landebasis war kein Ort, an den man gerne heimkehrte. Alles wirkte verwaist, unaufgeräumt, wie ein Haus, in dem niemand ist, niemand wartet.
    Die Elbbrücken. Bald würde er irgendwo anhalten. Und seine Ankunft, wo auch immer, würde offenbaren, dass das Ziel, welches auch immer, nur geografischer Natur war.
    Er fuhr am Holiday Inn vorbei, der Verkehr wurde dichter und bald zäh. Er kannte sich nicht aus, wusste nicht, wie er fahren sollte, ließ sich treiben, eine Weile.
    Bald stand er auf der Reeperbahn, ausgerechnet, und er wischte sich die feuchten Wangen trocken, schmierte mit dem Ärmel seines Pullovers den Rotz über die Scheibe und kurbelte das Fenster ein Stück runter, weil seine verklebten Augen frische Luft brauchten.
    Mit der Luft gelangte der Geruch von Bier und Urin in das Wageninnere. Der Verkehr drang müde über die Meile.
    Obdachlose Trinker lamentierten, andere lagen gekrümmt auf Zigarettenkippen, Teerflecken und festgeklebten Kaugummis. Junge besoffene Männer ehrten in ihrer Mitte einen komatösen Junggesellen, noch jüngere besoffene Mädchen gaben sich abgeklärt, als sei die Reeperbahn

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