Ausgerockt - [Roman]
unterhalten. Ich bin ein ganz normaler Gast.«
Er sah sie zögernd an, bevor er nickte und lächelte, sich umdrehte und zu Lennard ging.
Er spürte den Dielenboden unter seinem Gewicht nachgeben und dachte an das Knarzen, das er so oft gehört hatte, wenn er hier gearbeitet hatte. Heute war es nicht zu hören. Die vielen durch den Raum schwirrenden Stimmen, die Musik, das Klirren der Flaschen und Gläser und der fauchende Milchaufschäumer erzeugten einen erfreulich realistischen Kaffeehausklang.
Lennard lehnte sich weit über die Theke, bis er sich direkt an Linus’ Ohr befand: »Du brauchst hier eigentlich nicht mehr mitmachen. Das war nur der erste Ansturm. Die trinken gemächlich. Ich schaff das schon.«
Während Lennard das sagte, wirbelte seine Schwester im Hintergrund rum. Katti war diejenige, die es schon schaffte.
Lennard fasste Linus an der Schultern und rief: »Los. Du musst dir heute unbedingt ein paar Stammkunden backen.«
Linus gehorchte und mischte sich unter seine Gäste. Ein kleiner hagerer Kerl mit Buddy-Holly-Brille, einem Lostprophets- Shirt und einer Lederjacke, die ihm eine Nummer zu groß war, hielt Linus einen ausgiebiegen Vortrag darüber, dass lediglich Language. Sex. Violence. Other? ein gutes Stereophonics -Album sei, weil sie ansonsten wie Oasis klängen, die er überhaupt nicht möge.
Linus wollte nicht unhöflich sein. Der kleine Kerl war ein potenzieller zukünftiger Kunde. Also hörte er ihm eine Weile zu.
Als der Kerl allerdings in einem belehrenden Ton einen fließenden Übergang von den Stereophonics zur New Romantic Ära versuchte, entschuldigte Linus sich und floh.
Noch bevor er wieder zu Jana gelangen konnte, stoppten ihn die Grobians . Sie hatten beschlossen, in seinem Laden ihr erstes Live-Konzert zu geben.
Linus hatte keine Ahnung, welche Voraussetzungen gegeben sein mussten, um Konzerte veranstalten zu dürfen. Trotzdem sagte er zu.
Auf die Grobians wirkte das wie Feierdoping, sodass Katti hinter dem Tresen wieder ins Routieren kam.
Linus fragte sich, ob die Getränke reichen würden.
Plötzlich stand Brunssen neben ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Was meinst du? Sollten wir Nachschub holen? Ich darf allerdings nicht mehr fahren.«
»Du kannst Gedanken lesen.«
»Wo ist eigentlich der Verrückte?«, fragte Brunssen.
»Ich habe ihn eingeladen, er hat es zur Kenntnis genommen, hat allerdings nichts weiter gesagt.«
»Schätze mal, der taucht hier gleich irgendwann schön vorgeglüht auf.«
Linus zuckte mit den Schultern. Er hatte Holger lediglich per Kurzmitteilung zur Eröffnung des Ladens eingeladen. Daraufhin hatte er als Antwort erhalten:
Bin stolz auf dich. Jetzt kannst du unser planes demo in deinem laden verkaufen.
»Und? Wer fährt nun?«, fragte Brunssen.
Linus hielt Ausschau nach Jana. Wenn sie bereit war, zu fahren, würde er einen Moment mit ihr alleine sein. Er hatte das Bedürfnis danach. Sie hatte sich heute besonders distanziert verhalten.
Linus fand sie im Hinterhof. Sie unterhielt sich mit einer jungen Frau, die pausenlos an einer Zigarette zog und Jana den Rauch ins Gesicht pustete.
Jana war dankbar, dass Linus ihr einen Vorwand bot, dem Nebel zu entkommen.
Sie fuhren mit Janas Madze zur Drink-Filiale. Während der Fahrt redeten sie kaum ein Wort miteinander.
Walther war gerade dabei, Kasse zu machen.
Sie kauften drei Kisten Bier und zwei Kisten Lemon, luden sie in Janas Wagen und fuhren zurück.
Wieder schwiegen sie sich an. Es hätte an diesem Tag viel zu erzählen gegeben. Aber sie redeten nicht.
Kurz bevor sie die Friedrich-Ebert-Straße erreichten, sagte Linus: »Halt mal bitte an.«
Sie sah ihn an.
»Bitte.«
Sie fuhr in eine Seitenstraße und hielt in einer Parkbucht. Es war mittlerweile dunkel geworden. Ein stürmischer Wind zog durch die Straße und rüttelte am Wagen. Sie ließ den Motor laufen, blickte stur geradeaus.
Linus langte nach dem Autoschlüssel und drehte ihn herum. Der Wagen ruckelte kurz, dann erstummte der Motor. Erst jetzt sah sie ihn wieder an, mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Was ist los?«, fragte er.
»Was soll denn los sein?«
Da war sie wieder, die unterkühlte Stimmlage, diese geheimnisvolle Distanziertheit.
Oft hatte Linus das reizvoll gefunden. Es hatte ihn nervös gemacht wie eine Spielart, etwas Erotisches, ein Kniff, der dafür sorgte, dass es zwischen ihnen spannend blieb und ihre Beziehung lebendig.
Jetzt nervte es bloß noch. Sie verhielt sich, als würde sie ihn
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