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Ausgesaugt

Ausgesaugt

Titel: Ausgesaugt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlie Huston
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kennengelernt haben, kaum ein wahres Wort erzählt hat.
    So viel zu dem, was ich bedauere.
    Ich schaue mich um und überlege, was ich ihr sagen soll. Frage mich, wie viel Zeit mir bleibt, um mich auszusprechen, bevor mir schwarz vorm Auge wird. Ich hoffe, ich bekomme noch die Gelegenheit, diese allerletzte Sache in Ordnung zu bringen.
    Dann wäre ich beinahe über den Teil eines Brustkorbs gefallen und kann gerade noch verhindern, auf einem Hüftknochen zu landen. Ich erlange das Gleichgewicht wieder und mache einen Satz, um nicht auf einen Haufen aus sieben Lebern zu treten, doch dann verlässt mich das Glück und ich falle mit dem Rücken voraus auf ein knorpeliges Durcheinander aus Rückenwirbeln. Ich sehe zu den Balken hoch, die unter dem flachen Wellblechdach verlaufen. Dort scheint ein Wald aus Ketten verkehrt herum gewachsen zu sein. Jede Kette endet in einer Blüte, bestehend aus einem toten und verwesenden Enklavemitglied.
    – Wir mussten die Spreu vom Weizen trennen.
    Ich rolle mich mit vorgehaltener Waffe auf die Stimme zu, und da verliere ich die Waffe, weil etwas Weißes vorbeihuscht, sie mir abnimmt und wieder im Schatten verschwindet.
    Ich öffne und schließe meine Hand um die Leere, wo sich gerade noch die Pistole befand, dann führe ich die andere Hand zum Mund, nehme einen Zug und bin scheißfroh, dass sie mir die Knarre und nicht die Zigarette weggenommen haben.
    – Hey, Graf.
    Er ist spindeldürr und trägt nur noch die Hose seines weißen Anzugs, den Gürtel, den er sich fast zweimal um den Leib geschlungen hat und die zur Hose passende Weste. Es sieht aus, als würde sie ihm jeden Moment von den knochigen Schlüsselbeinen rutschen. Langsam schlendert der Graf in das Licht einer Kerze.
    Er ist mit einer halben Meter langen Klinge bewaffnet, die wohl mal zu einer Sense gehört hat. Langsam tippt er mit ihrer blutverkrusteten Spitze gegen seine Stirn. Seine Art, den Hut zu ziehen.
    – Joe.
    Er lässt die Klinge sinken und schnuppert.
    – Du riechst, als wärst du reif für den Kochtopf.
     
    Ich gehöre zu ihnen.
    Nicht, weil ich das so will, sondern weil Daniel das gesagt hat.
    Wenn Daniel sagte, jemand gehört zur Enklave, dann war das eine abgemachte Sache. Und das lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Man gehört zum Team, auch wenn man gar nicht mitspielen will. Anders kann ich es nicht ausdrücken.
    When you’re a jet...
    Genau wie in dem Song aus West Side Story .
    Enklave zu sein, hat mir nie besonders viel bedeutet. War nützlich, um ab und zu ein paar Informationen aus Daniel rauszukitzeln. Die Mitgliedschaft hat mir ein- oder zweimal den Arsch gerettet. Aber die meiste Zeit war meine Verbindung zur Enklave nur unnötiger Ballast, den ich mitschleppen musste.
    Andererseits – ohne diese Enklavesache hätte mich Daniel vor Jahren nicht auf diesen Weg gelockt. Er hat mich ausgehungert. Hat mich ans Limit gebracht, mich ins kalte Wasser geworfen. Ohne den Enklaveglauben hätte es ihn wahrscheinlich nicht interessiert, ob ich das Zeug dazu habe. Er hätte niemals den Geist beschworen, um jemanden zu töten und mein Leben zu retten. Und wenn das alles nicht passiert wäre, dann wüsste ich jetzt auch nicht, wie nahe ich dem Ende bin und was ich tun muss, wenn es so weit ist.
    Der Nachteil ist, dass sie wohl bald mein Knochenmark lutschen werden.
    Ich hoffe nur, dass ich zumindest einen Mistkerl von diesem Festmahl abhalten kann.
     
    Er fährt mit der Sensenspitze über meine Stirn.
    – Joe, Joe, Joe, was hab ich dir gesagt?
    Er zieht die Spitze von einem Ende der Stirn zum anderen, so dass sie über den Knochen kratzt.
    – Ich hab dir gesagt, du sollst dich hier nie wieder blicken lassen. Ich hab mich klar und deutlich ausgedrückt, Mann. Kein Zweifel möglich.
    Er wirft sich in Positur und reckt die Klinge zum Himmel.
    – Ich erinnere mich, als wär’s gestern gewesen, Mann. Ich hab gesagt: Wenn du jetzt hier rausgehst, kannst du nicht mehr zurück. Ich glaube, selbst der Punkt am Ende dieses Satzes war ganz deutlich zu hören. Aber, hey, im Zweifel für den Angeklagten. Also, was meinst du – hab ich genuschelt?
    Von meiner Zigarette sind noch etwa fünf Zentimeter übrig. Ich ziehe ungefähr ein Viertel davon weg.
    – Nein, nein, das war schon sehr deutlich. Ich kann dich nur nicht richtig ernst nehmen. Tut mir leid, aber du bist so ein blödes Klischee.
    Er nickt.
    – Ja. Okay. Ich verstehe.
    Er geht neben mir in die Hocke und richtet die Klingenspitze auf meine

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