Ausgesaugt
Hilfe zu bitten. Aber Percy meinte, dass hier ein Mann fürs Grobe vonnöten wäre. Und du wärst dieser Aufgabe gewachsen. Dagegen konnte ich kaum etwas einwenden.
– Woher wusste er, wo ich bin?
– Das entzieht sich meiner Kenntnis. Er sagte jedoch, dass jemand da unten dich beobachten würde. Du hast doch erwähnt, dass uns jemand im Tunnel gefolgt ist. Könnte es sich um dieselbe Person handeln?
Ich denke an den alten Mann im Untergrund und an Percy. Beide Enklave.
– Ja, das wäre möglich.
Er tätschelt seinen Afro.
– Ich gab ihm zu bedenken, dass ich mit deiner Hilfe wohl nicht rechnen könnte.
Er sieht zum Wagenfenster hinaus.
– Da hat er die Frau erwähnt. Hat mich ganz grob ins Bild gesetzt. Mir Namen genannt. Und die Enklave ins Spiel gebracht.
Er wendet sich mir zu. Tränen laufen über sein zitterndes Kinn.
– Joe, wenn es nicht gerade meine Tochter gewesen wäre, Joe. Dann hätte ich doch nie... nicht, weil es mir wahrscheinlich nicht gut bekommen wäre, dich zu hintergehen, Joe. Aber... aber normalerweise würde ich doch niemandem eine solche Lüge auftischen. Nicht jemandem, den ich kenne. Einem Freund, Joe.
Er wischt sich mit dem Handrücken über die Augen.
– Aber. Es war meine Tochter. Deshalb.
Im letzten Moment verwandelt er ein Schluchzen in ein wütendes Schnauben.
– Ich wollte dir keinen Ärger machen, Joe.
Er zeichnet mit seinen Fingern eine unbestimmte Form in die Luft.
– Tut mir leid, Joe.
Ich blicke zur Windschutzscheibe hinaus. Wir sind jetzt auf der Gansevoort Street. Ich bewege meine Beine, nur um zu prüfen, ob sie funktionieren. Sie tun ihren Dienst, genau wie die Arme, doch mein Gehirn wird hin und wieder von einer Nebelbank überrollt. Aber das ist ja nichts Neues. Würde ich immer klar denken, hätte ich seinen Auftrag wohl kaum angenommen.
Jetzt ist es zu spät. Sie haben mich an den Haken bekommen, an Land gezogen, aufgeschnitten und ausgenommen. Da bleibt nur noch der Grill. Wieso also nicht gleich ins Feuer springen? Es ist ja nur Feuer. Und man kann schließlich nur einmal verbrennen.
Ich strecke meinen Kopf noch weiter zum Fenster raus.
Dann deute ich auf etwas.
Chubby bemerkt es ebenfalls und tippt Dallas an.
– Hier.
Dallas biegt um die Ecke in die Little West 12th Street.
– Bist du sicher, Joe?
Ich lehne mich gegen die Tür.
– Ruf diese Leute an, Chubs.
– Natürlich.
Ich ziehe am Türgriff.
– Freut mich, dass du deine Tochter nochmal gesehen hast, Chubby.
Er nickt und fängt beinahe an zu lachen.
– Ja. Das waren kostbare Minuten.
Ich drücke die Tür ein paar Zentimeter auf.
– Bis bald.
– Bis bald, Joe.
Dallas gibt Gas und die Reifen quietschen auf den Pflastersteinen, als er eine scharfe Wende hinlegt. Da ich mich noch am Wagen festgehalten habe, bringt mich der Schwung ins Stolpern. Ich lande im Rinnstein und beobachte Chubbys Riviera, wie er um die Kurve zurück in die Greenwich Street und damit außer Sichtweite braust.
Jetzt bin ich wieder allein. Ich schließe mein Auge und genieße dieses Gefühl für einen Moment.
Habt ihr irgendetwas zu bedauern?
Dinge, die ihr getan habt? Dinge, die ihr verpasst habt?
Dieses Spiel hab ich noch nie gerne gespielt. Ich nehm’s, wie’s kommt, lebe von der Hand in den Mund, und bevor ich mich’s versehe, steigen ein paar Typen aus ihren Gräbern und ein paar andere werden verscharrt. Ist schon lange her, dass ich etwas getan habe, wobei es nicht ums Töten ging. Manche hab ich gerne unter die Erde gebracht, anderen hab ich ein bisschen Aufschub gegönnt, ohne mich schlecht dabei zu fühlen. Die meisten Leute sind mir völlig egal. Also weshalb über Dinge nachdenken, die man sowieso nicht ändern kann.
Natürlich habe ich etwas zu bedauern.
Und das hat zum Großteil mit dieser Frau zu tun.
Ganz besonders eine Sache.
Und die würde ich gerne ein für alle Mal klären.
Was bedeutet, dass ich das Auge wieder öffnen und aus dem Rinnstein kriechen muss. Und ich hoffe, dass sie mir lange genug zuhört, damit ich loswerden kann, was ich zu sagen habe.
Beim Gedanken daran wünschte ich fast, ich wäre wieder bei den Monstern im Keller. Die haben mir auch Angst gemacht, aber wenigstens stand da nur mein Leben auf dem Spiel.
– Oh Mann, alles klar, Mann?
Ich öffne das Auge und sehe zwei Raver, Junge und Mädchen, in androgynem Partnerlook, komplett mit schwarzen Homburghüten voll Gucci-Logos, riesigen rosa Sonnenbrillen und fluoreszierenden Plastikröhren
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