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Ausgesetzt

Ausgesetzt

Titel: Ausgesetzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James W. Nichol
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Gymnastikanzügen, mit Handtüchern um die Schultern und Laufschuhen an den Füßen auf Fahrradtrainern, Laufbändern und verschiedenen Kraftgeräten trainierten.
    Einige hörten Walkman und waren wie in Trance. Andere, schweißbedeckt, betrieben ihr Training mit äußerster Verbissenheit. Wieder andere plauderten und nutzten das Training für mehr oder weniger zufällige Flirts.
    Bobby zog die karierte Wolldecke enger um sich. Seine blasse Hand zitterte, als hätte er Parkinson.
    Wie selbstzufrieden sie alle aussahen, wenn sie sich in den Spiegeln betrachteten, die alle Wände bedeckten. Ein Schmollmündchen hier, ein männlich in den Nacken geworfener Kopf da – wie anbetungswürdig sie alle waren, wie außergewöhnlich.
    Bobbys dünnes Blut geriet ein wenig in Wallung. Die Ehrgeizigen und die Charmanten, die Erfolgreichen, die Treiber und die Macher, dachte er. Er war hingerissen von ihnen. Er hatte es sich angewöhnt, jede Nacht mindestens eine Stunde hier zu sitzen und zuzuschauen.
    Bobby saß allein auf dem Rücksitz. Sein Pfleger saß auf dem Fahrersitz und trug die blaue Chauffeursmütze, die er sich auf Bobbys Anordnung hatte aufsetzen müssen. Ab und zu schaltete er den Motor ein und ließ die Heizung laufen. Vielleicht war ihm langweilig. Es war nicht leicht zu erkennen, denn er war ein Junkie. Seine Augen waren entweder voll Verlangen nach dem nächsten Schuss oder tot, und mit seinen Gedanken war er stets woanders.
    Der Pfleger war Bobbys Geschöpf, sein Gefährte, sein Diener, und zwar schon seit geraumer Zeit. Heute abend hatte ihn sein Geschöpf wieder ein wenig herumgefahren. Anfangs war das einmal in der Woche vorgekommen, dann zwei- oder dreimal, doch jetzt war es schon beinahe zur allabendlichen Routine geworden.
    Sie fuhren und fuhren. Vorbei an Prostituierten, Transvestiten, Strichjungen, alle an ihren jeweiligen Ecken, alle auf getrennten Pfaden, wie rivalisierende Stämme. Gelegentlich befahl Bobby dem Pfleger, langsamer zu fahren, damit er sie sich genauer ansehen konnte. Manchmal leuchteten ihre bemalten oder geisterhaften Gesichtszüge auf in der Hoffnung, der Wagen würde anhalten. Dann könnten sie ihre Spielchen spielen. Aber der Wagen hielt nie an. Bobby nahm nie jemanden mit. Niemals. Niemand versetzte seine Phantasie, geschweige denn sein Blut, so in Aufruhr wie die vollkommenen jungen Männer und die prächtigen jungen Frauen, die ihre Reize hinter der Fensterfront zur Schau stellten, ihre knackigen kleinen Hinterteile, schwellenden Genitalien, kecken Brüste. Sie waren wie Mäuse in einem glänzenden Glaskäfig. Eifrig darauf bedacht voranzukommen.
    Bobbys Vater war vor einigen Monaten völlig außer sich geraten. Wutschnaubend hatte er mit all seinen Nasenschläuchen am Wagen gestanden und den Pfleger dafür gescholten, dass er Benzin für jemanden verschwendete, der nicht hören und nicht sehen konnte, ja nicht einmal wusste, wo er war.
    Doch zum Glück hatte Dr. Stanton gesagt, dass die Fahrten keinen Schaden anrichteten und auf irgendwelchen dunklen, unerforschlichen Wegen vielleicht sogar etwas Gutes bewirken könnten. Denn immerhin waren sie eine Anregung, und das war schon einmal etwas Gutes.
    Der Pfleger hatte Bobbys Vater die Worte des Arztes weitergegeben.
    Sein Vater hatte den Arzt einen unfähigen, raffgierigen, lächerlichen Quacksalber genannt, der nur deshalb jeden zweiten Tag auf fünf Minuten vorbeikam, damit er der staatlichen Krankenkasse den Höchstsatz an Gebühren in Rechnung stellen konnte. Bobbys Vater war zwar körperlich und geistig ein Wrack, aber seinen Raubtierinstinkt hatte er sich bewahrt. Und es stimmte, Dr. Stanton war ein Raffzahn.
    Der Arzt stellte auch gerne Rezepte für Morphium aus. Nach Angaben seines Pflegers wurde Bobby immer unruhiger, deshalb erhöhte Dr. Stanton seine Dosis ständig. In Wahrheit hatte Bobby unter der Betreuung seines Pflegers niemals Morphium bekommen, nicht einmal ganz am Anfang, als sein Vater den Anbau hinten am Haus hatte errichten und sich diesen seltsamen jungen Mann mit dem leeren Gesicht von einer Agentur hatte vermitteln lassen.
    Falls Bobby Entzugserscheinungen gehabt haben sollte, weil er während seines Krankenhausaufenthalts Morphium bekommen hatte, konnte er sich jedenfalls nicht mehr daran erinnern. Vielleicht hatte er ja welche gehabt, sich in Krämpfen gewunden, stöhnend, mit Schaum vor dem Mund. Wenn ja, hatte sein Pfleger jedenfalls nichts dagegen unternommen. Monatelang war Bobby nicht richtig bei

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