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Ausgesetzt

Ausgesetzt

Titel: Ausgesetzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James W. Nichol
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Reißverschlussfach ihrer Umhängetasche in Sicherheitsverwahrung genommen. Walker hatte sich nicht davon abbringen lassen, die beiden anderen Blätter zusammenzufalten und zu seinem Tabak und seinem Zigarettenpapier in die Hemdtasche zu stecken.
    Kristas Vorhaltungen, dass dies wohl der dümmste Platz auf Erden sei, kümmerten ihn nicht. Er wollte sie fühlen, hier in seinem Hemd, denn so wusste er, wo sie waren. Außerdem, aber das sagte er Krista nicht, bereitete ihm allein dieses Gefühl, dieses minimale Gewicht an seiner Brust, unendliche Befriedigung. Er existierte auf dieser Welt. Und es war eine Existenz, wie er sie nie zuvor gekannt hatte.
    Auf der Fahrt in die Stadt ging er im Kopf wieder und immer wieder die Liste unzusammenhängender, aber – zumindest für ihn – überzeugender Beweise durch, die die Polizei hoffentlich zum Handeln veranlassen würden. Manchmal erschienen ihm die Informationen elektrisierend, dann wieder ohne jede Substanz. Einmal sah er Polizisten vor sich, die sich um ihn drängten und gebannt seinen Worten lauschten. Dann wieder stellte er sich vor, wie sie ihn hinausschmissen. Oder ihn in die Psychiatrie einlieferten.
    Beim Royal York Hotel stiegen sie aus und riefen, beladen mit ihrem gesamten Gepäck, ein Taxi heran (keines von A. P. Taxis, das fehlte gerade noch, dass Alphonso Piattelli ihnen mit der Polizei behilflich war) und fuhren ein paar Blocks Richtung Norden zum Polizeipräsidium.
    Sie stießen eine schwere Glastür auf und standen in einem großen Foyer. Eine honigblonde Polizeibeamtin saß hinter einem breiten Empfangsschalter. Walker, noch immer den weißen Strohhut auf dem Kopf, trat auf sie zu. Krista blieb zurück und passte auf das Gepäck auf. Sie hatten ausgemacht, dass er mit dem Detail anfangen sollte, das ihnen nach ihrer beider Meinung sofortige Aufmerksamkeit sichern würde.
    »Ich weiß, wer vor zwanzig Jahren einen kleinen Jungen in der Nähe eines Ortes namens Weirtown am French River umgebracht hat«, sagte er.
    Sie fixierte ihn mit einem Paar wunderschöner, jedoch ausdrucksloser, brauner Augen.
    »Der French River liegt nicht in unserem Zuständigkeitsbereich«, sagte sie. »Das wäre ein Fall für die Polizei der Provinz Ontario.«
    »Und wenn der Mörder in Toronto lebt?«, fragte Walker.
    »Darauf kommt es nicht an, Sir. Für die Ermittlungen wäre trotzdem die OPP zuständig. Ich kann Ihnen die Telefonnummer geben, wenn Sie möchten.«
    »Aber was ist, wenn ich bedroht werde? Wenn dieser Kerl vorhat, mich und meine Freundin umzubringen, die übrigens dort drüben sitzt« – er deutete auf Krista in ihrem Rollstuhl – »und übrigens Bürgerin von Toronto ist, genau wie ich und auch dieser Typ, wenn dieser Kerl droht, uns beide umzubringen, womöglich genau jetzt, genau in dieser Stadt, genau in diesem Moment?« Walker wollte nicht hysterisch klingen, aber er hatte irgendwie das Gefühl, nicht weiterzukommen.
    Die Frau sah ihn prüfend an. Ihre braunen Augen, so schön sie auch sein mochten, waren eindeutig Polizistenaugen. Sie prüften seine Glaubwürdigkeit … oder deren Fehlen, und seinen Geisteszustand.
    »Setzen Sie sich doch bitte«, sagte sie schließlich. »Es kommt gleich jemand, mit dem Sie sprechen können.«
    »Gut«, sagte er und ging zurück zu Krista. »Sie werden mit uns sprechen.«
    Krista nickte. Klein sah sie aus, wie sie so dasaß, und hilflos. Walker fragte sich, wo ihre Courage geblieben war, ihre Energie. Sie wirkte ängstlich und müde. Sie sah aus, als wollte sie heim zu ihrem Vater.
    Detective Thomas Lee kam herunter, um sie zu begrüßen, und sie fuhren im Fahrstuhl mit ihm in den dritten Stock. Er war tadellos gekleidet, tiefblauer Anzug, leuchtende Krawatte, glänzende Schuhe und ein hellblaues Hemd. Sein pechschwarzes Haar war glatt nach hinten gekämmt. Er war etwa fünfunddreißig, relativ groß und gutaussehend. Er war höflich und sprach mit leiser Stimme. Er wirkte gelangweilt.
    Walker hatte auf einen abgebrühten, grauhaarigen Kriminalbeamten gehofft, der aufmerksam zuhören würde und sofort Feuer und Flamme wäre. Vielleicht sogar richtig sauer wurde. Detective Lee sah aus, als solle er eigentlich Investmentfonds verkaufen oder einen Vortrag über günstige Immobilien im Fernen Osten halten. Walker spürte, wie seine ganze mühsam zusammengekratzte Zuversicht sich in nichts auflöste. Er bemühte sich, seine Liste abzurufen, seine Verkaufsargumente sozusagen, aber in seinem Kopf herrschte das totale

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