Ausgesetzt
verwandt?«
»Ja«, sagte Walker. »Ich bin einer von ihnen.«
»Sieh mal an«, sagte der Mann. Er lächelte. »Wer hätte gedacht, dass wir jemals wieder ›einen von denen‹ zu Gesicht bekommen würden?« Er ließ sich in einen extrabreiten Drehstuhl sinken. Mit besten Grüßen von den dankbaren Füßen, dachte Walker. Der Mann seufzte, dann kam sein Leib zum Stillstand. Der Stuhl knarrte, blieb jedoch ganz. Der Mann verschnaufte ein wenig. »Nun, was kann ich für Sie tun?«, fragte er schließlich und bedeutete Walker, sich auf einen kleinen Holzstuhl neben dem Schreibtisch zu setzen.
»Mein Großvater ist schwer krank. Meine Mutter weiß eigentlich nicht, was aus dem Sommerhaus geworden ist, sie lebt schon seit Jahren nicht mehr hier. Da habe ich ihr gesagt, ich würde herkommen und nachsehen.«
»Ich bin nicht ganz sicher, worauf Sie hinauswollen«, sagte der Mann.
»Großvater kann nicht mehr reden. Seine Papiere sind das reine Chaos. Wir waren nicht einmal sicher, ob ihm das Haus noch gehört. Aber wahrscheinlich schon.«
Wenn es darauf ankam, war Walker ein begnadeter Lügner. Und für ihn, der in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen war, bei vielen verschiedenen Familien in Sudbury, war es oft darauf angekommen. Eine Pflegemutter hatte Heather Duncan berichtet, dass Walker mit einer Unschuldsmiene lügen konnte. Er hatte es als Kompliment genommen.
»Aha«, sagte der Mann. »Jetzt kapier ich. Sie wollen wissen, ob Ihr Großvater noch der Besitzer ist.«
»Es ist dieses große zweistöckige Holzhaus mit dem Eckturm«, kam Walker ihm zu Hilfe.
»Ich kenne das Haus, jeder hier kennt das Haus. Jeden Sommer kommen die Leute in Scharen zu mir und wollen es kaufen. Und ich muss immer wieder sagen, dass es nicht zum Verkauf steht und wahrscheinlich auch nie stehen wird. Ich könnte hundertfünfzigtausend dafür kriegen, locker. Für mich als Immobilienprofi, das verstehen Sie sicher, ist das natürlich schmerzlich«, fuhr er fort, und sein Blick forderte Walker auf, seinen Schmerz zu teilen.
»Kann ich mir vorstellen«, sagte Walker.
»Natürlich gehört es noch immer Ihrem Großvater«, sprach der Mann weiter in seiner etwas schwerfälligen Art. »Aber jetzt sieht es ja bedauerlicherweise wohl so aus, als ob es auf den Markt käme. Ich würde Ihnen empfehlen, und ich bin sicher, alle hier im Umkreis werden mir da recht geben, dass Ihre Frau Mutter sich in unsere Kartei aufnehmen lässt. Unser Unternehmen, Vater und Sohn, stehen dieser Gemeinde nun schon seit über fünfzig Jahren zu Diensten. Ich habe eine ganze Schublade voll mit idealen Interessenten für dieses Haus.« Wie zum Beweis streckte er die Hand aus und zog eine Schublade in seinem Schreibtisch auf.
»Ich garantiere Ihnen hundertfünfzig – nein, ich kann zweihunderttausend dafür kriegen. Ich glaube, ich weiß sogar, wo ich zweihundertzwanzig kriegen kann, obwohl … versprechen kann ich es nicht.« Er schloss die Schublade.
»Wissen Sie noch, wann es zugenagelt wurde?«, fragte Walker.
»Also, lassen Sie mich nachdenken«, sagte der Makler und lehnte sich in seinen Stuhl zurück, was diesen zu unheilverkündendem Wehklagen veranlasste. »Ich würde sagen, ungefähr …«
»Neunzehnachtzig.« Eine geisterhafte Stimme ließ sich von jenseits der halbhohen Trennwand hinter dem Rücken des Mannes vernehmen.
»Stimmt«, bestätigte er. »Neunzehnachtzig war’s.«
»Wissen Sie, warum?«, fragte Walker und sah erwartungsvoll auf die Trennwand. Die Antwort war Schweigen, sowohl vor als auch hinter der Wand.
Also sprach Walker weiter. »Sie haben gesagt, soweit Sie wüssten, würde das Haus nie verkauft werden. Mich würde interessieren, woher Sie das wissen.«
»Woher wissen wir das, Daddy?«, fragte der Mann namens Herman Nietzsche.
»Fred Evans hat’s uns gesagt«, schaltete sich die Stimme hinter der Wand wieder ein.
»Ja, stimmt. Fred ist ein Anwalt aus der Stadt, er kümmert sich um das Anwesen. Schaut, dass jemand den Rasen mäht und solche Sachen. Als sie damals die Bretter drannagelten, dachten wir, es stünde zum Verkauf, also haben wir uns bei Mr. Evans erkundigt, und dann hat er’s uns gesagt.«
»Was gesagt?«, fragte Walker freundlich.
»Na doch wohl, dass Mr. Nuremborski an einem Verkauf nicht interessiert ist.«
»Ich frage mich, warum nicht«, wagte Walker sich vor. »Ist doch ein bisschen seltsam, das Haus fünfzehn Jahre lang so stehen zu lassen.«
»Jake Nuremborski war ein seltsamer Mann«, ließ sich
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