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Ausgesetzt

Ausgesetzt

Titel: Ausgesetzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James W. Nichol
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Gebiet. Ein Außenseiter. Ein Gast. Aber er hatte das ungute Gefühl, dass das nicht mehr lange so bleiben würde. Irgend etwas, das wusste er, bewegte sich tief drinnen in seinen Innereien. Eine knotige weiße Membran. Ein Teil von ihm, die Leber oder die Milz. Kiss vermutete, dass es Krebs war, aber er war noch nicht zum Arzt gegangen, war schon seit Jahren bei keinem mehr gewesen. Und auch sonst hatte er es keinem erzählt. Es gab niemanden, dem er es erzählen konnte.
    Wieder sah er zu seinem Freund hinüber, der sich ganz in sich selbst zurückgezogen hatte. Irgendwo tief in seine Gedanken.
    Kiss fragte sich oft, ob es für den Mann ein Trost war, dass er ihn besuchte und bei ihm saß. Vielleicht war das ja auch gar nicht der Grund, weshalb er kam. Nicht der ganze Grund. Vielleicht tat er es, um nah am Pulsschlag des Polizistendaseins zu bleiben, nicht zu vergessen, warum er sich jeden Morgen aus dem Bett quälte, warum es wichtig war, weiterhin zu tun, was er eben tat. Denn manchmal, bei Gott, wusste er wirklich nicht, warum er überhaupt aufstand. Oder warum er wieder einmal einer Leiche in das verunstaltete Gesicht mit den glasigen Augen schauen sollte.
    »Wenn es kälter wird, kann man den Schnee in der Luft fast riechen«, sagte Kiss.
    Sein Freund antwortete nicht. Er war tatsächlich ganz woanders. Frohe Gedanken, hoffte Kiss, glückliche Erinnerungen an seinen Sohn und seine Frau. Die schöne junge Frau und den kleinen Sohn, die er vor so vielen Jahren verloren hatte.
    Kiss wusste, er würde weiterhin einmal im Monat mit seinem Bierkarton herüberkommen, aus welchem Grund auch immer, und den Trost anbieten, den er anzubieten hatte. Sonst konnte er nichts tun. Er würde dasitzen, bei Sturm und Regen und Schneesturm, würde bei seinem Freund sitzen, bis ans Ende aller Tage.

[home]
    19
    D er French River war unsichtbar, bedeckt von einem Nebel, rauchig und schneeweiß. Der Himmel war makellos blau. Die Sonne sandte lange schwarze Schatten über den Highway. Der Regen der vergangenen Nacht hatte überall große Pfützen und kleine Bäche zurückgelassen. Es war kalt geworden.
    Zitternd vor Kälte stand Walker auf einer hohen Brücke und blickte stromaufwärts – die Richtung, die er einschlagen musste.
    Soweit sein Auge reichte, lag Nebel über dem Land, wogte gegen die Kiefern, schmiegte sich an die Wände des Canyons und ergoss sich über seinen Rand. Das metallene Schutzgeländer war von Frost überzogen. Walkers bloße Hände brachten ihn zum Schmelzen.
    Er stieg wieder in Alphonsos mollig warmen Caddy, fuhr nach der Brücke noch knapp zwei Kilometer weiter und bog dann in östlicher Richtung in eine Nebenstraße. Nach Kims Beschreibung führte die Straße Nummer 528, die Hauptstraße entlang des Nordkanals des French River, direkt durch das Dörfchen Weirtown.
    »Wir nannten es Weirdtown«, hatte Kim gesagt, »das Dorf der Verschrobenen, weil wir aus Toronto waren und alle hier so was Verschrobenes an sich hatten. Alles, was man hier tun konnte, war auf den Stufen des Dorfladens sitzen oder zum Bowling gehen. Da gab’s eine total drollige Bowlinganlage, die hatte nur zwei Bahnen.«
    »Und wie weit war ihr Sommerhaus weg?«, hatte Walker sie gefragt.
    »Nicht weit. Da konnte man zu Fuß hingehen. Lennie und ich sind ständig in den Ort gegangen. Da gab’s Jungen.«
    »Hat sie da meinen Vater kennengelernt?«
    »Höchstwahrscheinlich. Irgend jemand hatte da diesen riesigen Yachthafen hochgezogen. Der war fast neu. Ich glaube, da hat er gearbeitet.«
    Am Tag zuvor hatte Walker auf der Fahrt an einer Tankstelle eine Straßenkarte von Ontario gekauft. Darauf hatte er Weirtown auch gefunden, mehr oder weniger so, wie Kim es in Erinnerung hatte, am Rand einer geschützten Bucht, wo sich das Land zum Fluss hinabsenkte und der Fluss sich im Gegenzug zu einer Art großem See verbreiterte. Der Ort lag knapp zwanzig Kilometer ab vom Highway 69.
    Kurz nach sieben hatte Walker bereits die Stadt Ouellette erreicht und vor einem Gebäude geparkt, das anscheinend das einzige Restaurant weit und breit war und auch eine Zapfsäule hatte. Er hatte den Caddy vollgetankt und versucht, diesen Zustand, möglichst billig, mit zwei Toasts und zwei Kaffees auch bei sich selbst herbeizuführen.
    Hinter Ouellette schwenkte die Straße näher an den Fluss heran. Der Nebel wurde so dicht, dass Walker in den Tälern und Senken beinahe Schrittgeschwindigkeit fahren musste. Es war, als führe er durch Milch.
    Ein großes grünes

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