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Ausgesetzt

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Titel: Ausgesetzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James W. Nichol
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einfach wegging. Nur um allen hier zu zeigen, dass er auf das Geld nicht angewiesen war. Das ist alles.«
    »Dann haben Sie also meine Großmutter gekannt?«
    »Eine reizende Frau.«
    »Und meine Mutter, Lenore?«
    Der Mann kramte in seinem Gedächtnis. »Lenore. Genau.«
    »Und es gab auch noch andere Kinder?«, fragte Walker.
    Der kleine Mann sah ihn überrascht an. »Eines. Ihren Onkel, nicht? Kennen Sie denn Ihre eigene Familie nicht?«
    »Doch«, erwiderte Walker. »Ich war nur nicht sicher, ob der damals schon auf der Welt war.«
    »Er ist älter als Ihre Mutter.«
    »Ach ja, stimmt. Natürlich. Das habe ich jetzt wieder durcheinandergebracht.«
    Der Kleine musterte Walker eingehend, dann drückte er ihm noch einmal die Hand.
    Und Walker schüttelte sie noch einmal.
    »Bei uns sind Sie richtig«, verkündete er. »Sie werden es nicht bedauern.« Dann drehte er sich rasch um und verschwand hinter der Trennwand. Walker hörte, wie der Stuhl über den Holzboden schabte, als der Alte sich hinsetzte.
    »Hier ist meine Karte.« Herman Nietzsche reichte Walker eine Visitenkarte mit Golddruck.
    »Danke«, sagte Walker. Dann beugte er sich näher zu dem Mann und fragte: »Was ist denn jetzt mit diesem Jungen passiert? Wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
    Der Mann sagte zunächst einmal gar nichts. Dann begann sein mächtiger Schädel, sich langsam vor und zurück zu wiegen, als wolle er sich damit selbst beruhigen. »Jemand hat ihn erwischt«, sagte er schließlich. »An einen Baum gebunden. Aufgeschlitzt.«
    Walker zuckte zurück. Wieder schnürte es ihm die Kehle zu.
    »Der Coroner meinte, da habe er noch gelebt. Seine Gedärme hingen nämlich halb heraus. Na ja, ist lange her. Besser, man vergisst es.« Er versuchte zu lächeln, seine Riesenbacken kämpften sich in die Höhe.
    »Wo hat man ihn gefunden?«
    »Das Land neben dem Grundstück Ihres Großvaters ist Staatsbesitz. Wir haben ihn am nächsten Morgen gefunden, gar nicht weit ab vom Weg. Er war erst zehn oder so. Ein Sommerkind. Aus einem der Ferienhäuser. Er war die ganze Nacht nicht heimgekommen.«
    »Wurde jemand verhaftet?«
    Der Mann sah Walker an und schüttelte den Kopf. Dann sah er weg.
    »Ich werde das nie vergessen«, sagte er.

[home]
    20
    A ls Alex Johnsons Vater bei ihnen klopfte, dämmerte es bereits. Lennie, Bobbys dreizehnjährige Schwester, kam aus dem hinteren Teil der Diele und öffnete die Fliegenschutztür. Sie war zwar zwei Jahre jünger als Bobby, trotzdem war sie fast so groß wie er. Sie hatte ein ovales, zartes Gesicht und dunkles Haar.
    »Hallo, Mr. Johnson«, begrüßte sie ihn.
    Sie kannte die meisten ihrer Sommernachbarn, aber dass einer vorbeikam, wenn ihr Vater da war, kam so gut wie nie vor. Er hatte alle wissen lassen, und zwar unmissverständlich, dass er die wenigen Male, die er Zeit fand, hier herzufahren, Erholung und Abgeschiedenheit suchte und nicht die Gesellschaft der Nachbarn.
    Mr. Johnson, der im Sommer zwei Häuser weiter wohnte, war ein großer, schlanker Mann mit schütterem blonden Haar. Er sah besorgt aus. »Hast du vielleicht Alex gesehen? Er ist zum Abendessen nicht nach Hause gekommen, wir haben schon nach ihm gesucht.«
    »Nein«, sagte sie, »ich habe ihn den ganzen Tag nicht gesehen.«
    Mr. Johnson nickte geistesabwesend. »Ich habe Hot Dogs für ihn gemacht, auf dem Grill. Das ist seine Leibspeise. Es ist fast neun.«
    Sie bat ihn herein, sagte, sie würde ihre Mutter holen und auch ihren Bruder fragen, ob er Alex gesehen habe. Er bedankte sich und kam in die beleuchtete Diele.
    Bobby hatte gesagt, er fühle sich nicht besonders, er habe die Grippe oder etwas ähnliches. Er war vor dem Abendessen zu Bett gegangen. Als Lennie in sein Zimmer kam, konnte sie in der Dunkelheit seine Umrisse auf dem Bett sehen.
    »Bobby«, sagte sie, »bist du wach?«
    »Was?«, murmelte er mit schwacher Stimme.
    »Hast du diesen Jungen, Alex Johnson, gesehen? Sein Vater sucht ihn.«
    Bobby hob ein wenig den Kopf. »Nein«, sagte er und ließ ihn wieder sinken.
    »O. K.«
    Sie schloss die Tür. Bobby hörte, wie sie die Treppe hinunterging. Er hörte auch Stimmen unten in der Diele, brachte jedoch weder die Energie noch das Interesse auf, sich zur Tür zu schleichen und zu lauschen. Er hatte das Gefühl, als würde ihn etwas niederdrücken, als wöge er hundert Kilo.
    Er versteckte sein Gesicht wieder unter dem Kissen. Er fühlte seinen Atem, heiß und feucht, als befände er sich in einer Höhle.
    Zum hundertsten Mal dachte

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