Ausgesetzt
erfreut aus.
»Ich nehme an, Kim hat Ihnen meine richtige Geschichte erzählt und dass ich nicht ganz ehrlich zu Ihnen war«, sagte er zu Mrs. Miller, nun da er es bis in die Diele geschafft hatte. »Es tut mir leid.«
»Ach, das ist nicht so wichtig«, sagte Mrs. Miller mit einem besorgten Blick auf ihre Tochter. »Ich kann gut verstehen, dass Sie etwas über Ihre Familie in Erfahrung bringen wollten. Es ist nur so … Sie müssen verstehen, dass Kim Ihnen da nicht mehr weiterhelfen kann. Und was Sie erzählen, nimmt sie auch ziemlich mit. Das mit Lennie, meine ich.« Jetzt sah Mrs. Miller ihn direkt an, und ihre Augen wünschten ihn zur Tür hinaus.
»Ich habe mir nur so meine Gedanken gemacht«, fuhr Walker unbeirrt fort, »über Lennie und Kyle. Ich frage mich, ob Sie sich vielleicht erinnern können, wo genau sie in Jamaika lebten. Wo ich geboren wurde.«
»Meine Güte«, sagte Kim, »das ist so lange her.«
»Aber Sie haben ihr geschrieben«, sagte er voller Hoffnung.
»Die ganze Zeit. Aber ich hab meinen ganzen Kram weggeschmissen. Alles. Bevor ich geheiratet habe. So was wie eine Säuberungsaktion. Weißt du noch, Mom?«
»Ja«, sagte Mrs. Miller mit einem leisen Seufzer.
»Es war eben irgendwo in Jamaika. Wo, weiß ich nicht mehr. Wieso?«
»Weil sich dort unten vielleicht jemand an mich erinnert.« Walker dachte, dass die beiden Frauen ihn sicher für wenig überzeugend hielten, wie er da im Eingang stand und sich an Strohhalme klammerte.
»Das ist eine Ewigkeit her«, sagte Kim. »Alles war streng geheim. Sie durfte mit niemand in Kontakt bleiben. Jake hatte ihr gedroht, sie zu enterben, wenn sie sich nicht daran hielt. Ich habe mich darauf verlassen, dass meine Mutter nicht schnüffelt, habe aber trotzdem all ihre Briefe verbrannt, sobald ich sie gelesen hatte. Kam mir irgendwie romantischer vor.«
»Na gut«, sagte Walker und öffnete die Haustür einen Spalt. »O. K. Ich hoffe, es geht …«
»Oh«, sagte Kim.
Er hielt inne.
Rasch drehte sie sich zu ihrer Mutter um. »Du hast doch noch meinen alten Schreibtisch, oder? Im Wintergarten?«
»In diesem Schreibtisch ist nichts«, antwortete Mrs. Miller entschieden. »Du hast es ja selbst gesagt, du hast alles weggeschmissen.«
»Aber es ist nicht im Schreibtisch, Mom.« Kim schlurfte in ihren Hausschuhen über den Flur. Wieder seufzte Mrs. Miller, diesmal vernehmlich.
In der Küche blieb Kim stehen. »Kommt mit«, sagte sie, nun schon mit lebhafteren Zügen. Anscheinend war sie dankbar, etwas zu tun zu haben.
Mrs. Miller ging ihr nach. Walker schloss die Tür und folgte. Sie gingen durch die Küche und ein kleines Wohnzimmer in den Wintergarten. Dort kniete Kim bereits vor einem kleinen Kunststoffschreibtisch mit zwei Schubladen auf der linken Seite. Sie zog die untere Lade heraus, entfernte ein paar Zeitungsausschnitte und stellte die Schublade auf den Tisch.
»Ich hebe hier nur Kochrezepte auf«, sagte ihre Mutter.
»Nicht
in
der Schublade, Mom.« Kim drehte die Schublade um.
Walker stellte sich auf der einen Seite neben sie, ihre Mutter auf der anderen. Zu dritt starrten sie auf die Unterseite der Lade. Hier, wo niemand es je lesen würde, hatte die vierzehnjährige Kim mit einem Kugelschreiber in kühnen blauen Lettern eingraviert: »Robinson’s Place, Three Mile Hill, Reef Island, Jamaika.«
»Da bist du auf die Welt gekommen«, sagte Kim.
Das rote Licht auf Walkers Anrufbeantworter blinkte. Seine Mutter hatte die Idee mit dem Anrufbeantworter gehabt, weil er nie daheim war, wenn sie ihn anrief, und sie deshalb nie wusste, ob er noch am Leben oder schon gestorben sei. Sie hatte ihm einen Scheck dafür geschickt und noch ein bisschen was extra, für Notfälle.
Walker, der gerade von seinem Besuch bei Kim zurückgekommen war, ging hin und drückte die Abspieltaste.
»Hi, Walker, hier ist Carolyn McEwan«, hörte er die klare Stimme. »Eine Freundin im Allgemeinen hat gerade die Unterlagen aus der Notaufnahme durchgeschaut. Hat nur ein paar Minuten gedauert, weil wir ein Datum hatten. Sie hatten recht. In dieser Nacht wurde tatsächlich jemand vom French River hereingebracht. Schweres Schädeltrauma. Er lag ungefähr einen Monat auf der Intensivstation in Sudbury und wurde dann ins Bayview Hospital nach Toronto verlegt. Sein Name ist Robert Nuremborski. Ich hoffe, Sie können was damit anfangen. Halten Sie mich auf dem laufenden. Und Walker, erzählen Sie niemandem, woher Sie das haben. Tschüss.«
Walker setzte
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